Am Sonntag, 24. März bekommt Jenny Erpenbeck der Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen

Was wäre gewesen, wenn ein in Galizien geborenes kleines Mädchen den Säuglingstod überlebt hätte? Oder wenn sie als erwachsene Frau nicht in einem sowjetischen Straflager umgekommen wäre? Solch ungewöhnliche Gedankenexperimente wagt die Autorin Jenny Erpenbeck mit ihrem Roman „Aller Tage Abend“. Und hat mit diesem literarischen Experiment Erfolg: Die Jury des Schubart-Literaturpreises Aalen lobte sie als Preisträgerin für das Jahr 2013 aus. Der Literaturföderpreis geht an Patricia Görg.

dagmar Oltersdorf
Für den Deutschen Buchpreis 2012 war sie nominiert, ein paar Preise hat Jenny Erpenbeck schon gewonnen, darunter den Solothurner und den Heimito von Doderer-Literaturpreis. Nun auch den, den die Aalener dem großen Sohn der Stadt Christian Friedrich Daniel Schubart (1739 bis 1791) zu Ehren bereits 1955 ins Leben gerufen haben. Große Namen wie Peter Härtling, Ralph Giordano, Alice Schwarzer, Henryk M. Broder finden sich in der Preisträgerliste, die eine Jury im zweijährigen Turnus auslobt. Nun auch der von der 1967 in Ost-Berlin geborenen Jenny Erpenbeck, für ihren Roman „Aller Tage Abend“, der im Herbst 2012 erschienen ist.
Ein Roman, in dem die Autorin – eine gelernte Buchbinderin, studierte Theaterwissenschaftlerin und Musiktheater-Regisseurin – fünf mögliche Lebensgeschichten ein und derselben Protagonistin erzählt und in dem sie gleichzeitig die Geschichte des gesamten 20. Jahrhunderts umspannt. Beginnend mit dem Tod eines Kindes, eines nur acht Monate alten Mädchens in Galizien. Die jüdische Mutter betrauert das Kind nach altem Ritus, der nicht-jüdische Vater macht sich aus Verzweiflung auf und davon, es ist nicht nur das Kinderleben zerbrochen, sondern auch die Existenz der Eltern
Fünf Bücher erzählen jeweils von einem weiteren Abschnitt im Leben der Hauptfigur und von einem weiteren Sterben. Erpenbeck beschreibt die Protagonistin als 18-Jährige in Wien 1919, als 37-jährige Kommunistin im Moskau in der Zeit der stalinistischen Schauprozesse, dann in den 60er-Jahren als hochgeehrte DDR-Schriftstellerin und schließlich zur Wendezeit als 90-Jährige in einem Berliner Altersheim.
Zwar folgt das Buch, wie zu erwarten ist, auch den Spuren, die dieser Tod im Leben der anderen Figuren hinterlässt, doch vor allem stellt es die Frage, was aus dem Kind hätte werden können, wenn es nicht gestorben wäre. „Es wird alles immer wieder gedacht und genauso möglich gedacht. Das relativiert die Härte des Todes, der Unausweichlichkeit. Mit dem Tod wird man aber immer schwer fertig, auch wenn man fünf Romane darüber geschrieben hätte“, so die Autorin in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Die Jury des des mit 15 000 Euro dotierten Schubart-Literaturpreises unter dem Vorsitz von Irene Ferchl votierte einstimmig für Erpenbeck. Sie war nicht nur von der Versuchsanordnung der fünf Bücher, die durch Intermezzi verbunden sind, fasziniert. Auch die eindringliche Sprache der Autorin überzeugte und das „durchweg qualitätsvolle Werk“.
Ebenfalls Preisträgerin in diesem Jahr ist die 1960 in Frankfurt geborene und studierte Theaterwissenschaftlerin Patricia Görg. Die in Berlin lebende Autorin erhält den mit 5 000 Euro dotierten und von der Kreissparkasse Ostalb gestifteten Förderpreis für ihr 2012 in Berlin erschienenes „Handbuch der Erfolglosen – Jahrgang 2011“. In diesem arrangiert unterschiedliche Textsorten mit Beschreibungen und Erzählungen der Gegenwart, verdichtet diese auf die Kalenderwochen des Jahres. „Vergnüglich, bissig, kultur- und politikkritisch“, reiht sich das Handbuch in der Beurteilung der Jury in die kritische Tradition von Schubart und der Aufklärung ein.

 Am Sonntag, 24. März, 11 Uhr, wird Jenny Erpenbeck der Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen im Rahmen einer feierlichen Matinee in der Aalener Stadthalle von Oberbürgermeister Martin Gerlach überreicht. Die Laudatio für die Schubart-Preisträgerin hält Professor Dr. Konstanze Fliedl von der Universität Wien. Laudator für die Verleihung des Förderpreises an Patricia Görg ist Professor Dr. Wilfried Schoeller.
Mit dabei ist auch das Saxophon-Ensemble Saxofourte. Eingeladen sind alle interessierten Bürger. Der Eintritt ist frei.

© Gmünder Tagespost 28.02.2013
zurück

Diesen Artikel bewerten:

Open all references in tabs: [1 – 4]

Comments

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.