Ulm Beide kamen aus Galizien, beide arbeiteten als Journalisten, beide verewigten in ihrem Roman die untergegangene Welt des östlichen Judentums. Joseph Roth (1894-1939) und Soma Morgenstern (1890-1976) waren aber auch über Jahre hinweg enge Weggefährten. Im Rahmen des Internationalen Donaufestes erlaubte der Schauspieler Dietmar Bär, bekannt als Kölner „Tatort“-Ermittler, bei einer Lesung einen Blick auf die Freundschaft des noch immer berühmten (Roth) und des heute fast vergessenen (Morgenstern). Das Konzept, bekannter Mime liest unbekannten Autor, ging auf: Der Stadthaussaal war sehr gut besetzt.

Erinnerungen an den Freund Joseph Roth


Roth stand nur indirekt im Rampenlicht der finalen Literaturveranstaltung des Donaufestes, bei der sich Organisator Thomas Mahr freute, seinen „Lieblingskommissar“ einen seiner Lieblingsautoren lesen zu hören. Denn der erste Teil des Abends gehörte Auszügen aus Morgensterns „Joseph Roths Flucht und Ende“, in dem der später in die USA emigrierte Autor sich an den Freund erinnerte; die ausgewählten Ausschnitte, in einer flüssigen, feuilletonistischen Prosa geschrieben, zeigten den alkoholkranken Roth in seinem Niedergang – erlaubten aber auch einen Einblick in die Wiener Bohème der Zwischenkriegszeit, zu denen (neben Roth und Morgenstern) etwa auch der Schriftsteller Stefan Zweig und der Komponist Alban Berg gehörten; der Zwölftöner soll, so schreibt es Morgenstern jedenfalls in dem Buch, einst gesagt haben, dass dieser schreibe „wie Mussorgsky komponiert“.

Doch auch Morgensterns Karriere wurde, wie so viele andere, vom Naziterror, Krieg und Vertreibung durchbrochen. Es veränderte auch seine Arbeit: In seinem Roman „Die Blutsäule“, begonnen Ende der 1940er Jahre, beschrieb er in gekonnt altmodischer, fast biblischer Sprache die Welt der Ostjuden; bei Morgenstern wird es zu einem Idyll am Abgrund. Einen Auszug daraus las Dietmar Bär, der sich sonst im Hintergrund hielt und ganz die Sprache des Schriftstellers wirken ließ, in der zweiten Hälfte des Abends. Eine fremde, seltsam der Zeit entrückte Welt, die heute nur noch in der Literatur zu erkunden ist. Soma Morgenstern wiederzuentdecken heißt: Schmerz verspüren über ein verlorenes, wertvolles Stück unserer eigenen Kultur.

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