BIMAIL

Es geschah in Ropschitz, einem in Galizien gelegenen polnischen Städtchen. Die Reichen pflegten dort für ihre Häuser, die einsam oder am Ende des Dorfes lagen, Männer zu engagieren, die nachts über ihren Besitz wachen sollten.

Als eines Nachts der Rabbi des Ortes, Rabbi Naftali, spazieren ging, begegnete er einem auf- und abgehenden Wächter. „Für wen gehst du?“, fragte der Rabbi den Mann. Der gab Auskunft, stellte dann aber die Gegenfrage: „Und für wen geht Ihr, Rabbi?“ Das Wort traf den berühmten Lehrer wie ein Pfeil. „Noch gehe ich für niemanden“, brachte er mühsam heraus. Dann ging er lange schweigend neben dem Mann auf und nieder. „Willst du mein Diener werden?“, fragte er ihn schließlich. „Das will ich gern“, antwortete der Mann, „aber was habe ich zu tun?“ „Mich zu erinnern“, sagte Rabbi Naftali. Diese beeindruckende Szene hat Martin Buber in seinen Erzählungen über berühmte Lehrer festgehalten.

Jesus ist sich bewusst, für wen er geht. Er versteht sich als Apostel, als Gesandter. Die Bibel sagt: Er ging für seinen Vater. Beide sind gemeint – sein Vater Josef und sein Vater im Himmel. Von beiden weiß Jesus sich in die Verantwortung genommen, an einer Welt zu bauen, die gerecht ist und friedlich.

Als junge Menschen seine Ideen aufnehmen, mit ihm arbeiten und kämpfen, schreibt er das Gott zu mit den Worten: Die hast du mir gegeben, das habe ich dir zu verdanken. Wenn seine Zuhörerinnen und Zuhörer über seine Worte und seine Deutung der Zeit staunen, bekennt er: Das stammt nicht von mir, sondern von dem, der den Geist unbegrenzt gibt, der inspirieren und begeistern kann. Kranken, die er heilt, befiehlt er, das Geschehene für sich zu behalten und allein den zu preisen und dem die Ehre zu geben, der der Schöpfer des Lebens ist.

Jesu Selbstbewusstsein gründet so sehr in seinem Sendungsbewusstsein, dass er sagen kann: „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“ Alles an ihm, was er tut, spricht und ist, verweist auf einen anderen, Höheren, Größeren, auf seinen Auftraggeber.
Er macht sichtbar, was die Bibel von jedem Menschen wünscht: dass er ein Abbild, eine Ikone des Schöpfers sei. Ihn und dessen Namen will Jesus groß machen, nicht seinen eigenen.

Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.“ Dieses bekannte Sprichwort heißt im Sinne der Bibel: „Sage mir, für wen du gehst…“ Der Rabbi von Ropschitz – er musste daran erinnert werden – und Jesus gingen für das Menschenbild der Bibel. Aus ihr wuchs ihr Selbstbewusstsein, das sie groß und sympathisch machte.

Für wen gehe ich? Auf wen verweisen meine Arbeit, mein Reden und Tun? Was können Menschen von mir ablesen? Große Menschen geben nicht an, sondern verweisen auf andere und anderes: Herkunft, Ausbildung, Glück.

Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentliches Rundschreiben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskräfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

E-Mails: debatte@diepresse.com

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 10.03.2012)

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