Niklas Frank und Horst Wächter sind die Söhne zweier hochrangiger NS-Repräsentanten, die im besetzten Polen und Galizien für die Ermordung Tausender Juden verantwortlich waren. Mit einem Menschenrechtsanwalt reisen sie in „My Nazi Legacy: What our fathers did“ noch einmal an die Stätten der Vernichtung. Ein Film über das Anerkennen und das Verdrängen von Schuld.

David Evans’ Dokumentation beginnt wie so manche andere über das Verhältnis von Nachgeborenen zu ihren Eltern oder Großeltern, die NS-Täter waren: Schmalfilme und Fotos vom unbeschwerten Familienleben, kontrastiert mit Bildern von Tod und Vernichtung. Dazu düstere Klänge auf der Tonspur und ein belehrender Off-Kommentar für alle, denen das perverse Nebeneinander von trautem Heim und mörderischen Befehlsketten im Bild allein nicht ausreicht.

Der Fokus des Menschenrechtsanwalts

Auch Niklas Frank, Sohn von Hans Frank, genannt der „Schlächter von Polen“, hat solche Fotoalben. Und genau wie er breitet auch sein Freund Horst Wächter, dessen Vater Generalgouverneur von Galizien war, diese Alben und Filme vor den Augen Philippe Sands’ aus. Sands ist ein bekannter britischer Menschenrechtsanwalt. Bei einer Recherche zu den Nürnberger Prozessen trifft er auf Frank – und ändert daraufhin den Fokus seiner Arbeit. Zumal Frank ihm auch noch seinen alten Freund Wächter vorstellt.

My Nazi Legacy

Viennale

Aus dem Privatarchiv von Frank und Wächter: Bilder aus dem Ghetto

Beide sind bereit, sich den bohrenden Fragen des Anwalts zu stellen. Fragen nach der Verstrickung mit dem NS-System, dem Anerkennen der Schuld und dem Verhältnis zu den verbrecherischen Taten der Väter. Es sind um so unliebsamere Fragen, als Sands selbst Nachfahre einer Familie ist, die in den Massengräbern von Lemberg endete, erschossen von ukrainischen Hilfspolizisten auf Befehl von Otto von Wächter.

Er liebte Hitler mehr als seine Familie

„My Nazi Legacy“ wird in dem Maße zu einer sehenswerten Lektion über das Verhältnis zum eigenen Vater, wie der Film die Gegensätzlichkeit der beiden selbst schon alt gewordenen Männer herausarbeitet: Niklas Frank hat die Schuld seines Vaters Hans vollkommen eingesehen, ohne das geringste Zögern nennt er sie beim Namen. Auch dass der Vater ihm die Kindheit zerstört hat, denn Hans Frank liebte Hitler mehr als seine eigene Familie, sagt der 1939 in München geborene Niklas Frank geradeheraus.

Er wirkt dabei so abgeklärt, weil er bereits in den 1980er Jahren das Ausmaß der Verbrechen seines Vaters in einem Buch aufgearbeitet hat. Ganz anders der gleichaltrige Wiener Horst Wächter: Sein Vater Otto von Wächter sei ein „anständiger Mann“ gewesen mit einem „guten Charakter“. Sicher, er sei in das NS-System involviert gewesen, aber es habe nun einmal keine Möglichkeit gegeben, sich dagegen zu wehren.

My Nazi Legacy

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Die Söhne stellen sich der Diskussion über ihre Väter, hier bei einer Veranstaltung in London

Beide Männer stellen sich jedoch uneingeschränkt Sands’ Fragen und sind auch bereit, mit ihm nach Krakau und in die Ukraine zu fahren. Was aber will der Menschenrechtsanwalt dort? Er will, dass Wächter endlich die tiefe Schuld seines Vaters einsieht und benennt. Sands bringt immer neue Dokumente zum Vorschein, die diese Schuld klar belegen. Doch Wächter wird um so störrischer, je mehr Zeugnisse der Anwalt liefert.

Eine Freundschaft stirbt ab

Währenddessen wohnt der Zuschauer dem Absterben einer Freundschaft bei: Frank sinkt förmlich immer mehr in sich zusammen, je sturer Wächter bei seiner Theorie bleibt, dass sein Vater keine Synagogen niederbrennen ließ, keine Morde befahl. Und wenn Otto von Wächter applaudiert habe zur Rede Hans Franks, den Holocaust in Galizien nun endlich in die Tat umzusetzen, dann sei das kein Beweis für persönliche Schuld. Denn diese Rede sei eine politische Veranstaltung gewesen, Applaus sozusagen Pflicht, argumentiert Wächter allen Ernstes. Sein Vater sei ein „theatre man“ gewesen, sagt der Sohn, der wie auch Frank Englisch mit dem Anwalt spricht.

Die Ukrainer feiern die SS-Einheit Galizien

Trauriger Höhepunkt in diesem Film, der als pädagogisches Werkzeug für jede Geschichtsstunde taugt, ist ein Besuch in Brody, einer Kleinstadt bei Lemberg. Man reibt sich die Augen über die so groteske wie operettenhafte Jahresfeier der „SS-Einheit Galizien“ samt Veteranen und Neonazis, die dort stattfindet. Zu ukrainischen patriotischen Liedern rollen die Wehrmachtsjeeps, werden symbolisch Särge zu Grabe getragen, und Männer in Tarnkleidung, mit Hakenkreuzemblem und Stahlhelm präsentieren sich mit Maschinenpistolen zum Ruhme der Ukraine.

Als sie erfahren, dass Wächter angereist ist, sind sie begeistert, schütteln ihm die Hände. Ein Veteran versichert, dass Vater Otto, der Generalgouverneur, wirklich ein anständiger Mann war. Der Sohn verteilt Fotos mit dem Konterfei des Vaters und steigt tatsächlich zu den Neonazis in den Jeep. Er ist sichtlich zufrieden mit dem Treffen und sagt es auch.

My Nazi Legacy

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Warum weichst du immer aus, fragt Niklas seinen Freund Horst in Lemberg

„My Nazi Legacy: What our fathers did“ ist cineastisch kein großer Wurf. Dafür das oft verblüffende Dokument einer Reise dreier Männer, die sich – jeder auf seine Weise – der Vergangenheit stellen wollen. Weil sie wie Sands Tote zu beklagen hatten oder ihre Väter Tod und Verderben angerichtet haben.

Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Filmhinweis

„My Nazi Legacy: What our fathers did“ läuft auf der Viennale noch am 3. November um 18.30 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus.

Doch für Horst Wächter – früher war er Sekretär von Friedensreich Hundertwasser, weil er jemandem dienen wollte und am liebsten einem Juden – kann nicht sein, was nicht sein darf: dass der anständige Vater den Befehl für den Mord an 3.500 Juden gibt. Menschen, die einen Kilometer von der 1941 in Brand gesetzten Synagoge von Lemberg entfernt erschossen und in ein Massengrab geworfen wurden. Sie liegen dort noch heute, zeigt der Film. Es ist Gras darüber gewachsen. Der Film ehrt die Toten darunter – indem er an sie erinnert.

Alexander Musik, ORF.at

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Publiziert am 01.11.2015

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