Sep
13
Die Gruppierung der Russen. – Die Ereignisse in Galizien.
Eine ernsthafte Nachricht aus Stockholm besagt, daß sich das Große Hauptquartier der Russen auf einer Eisenbahnstation zwischen Wilna und Minsk befindet und sich die russischen Kräfte in zwei Hauptgruppen sammeln, in eine Nordgruppe bei Wilna, auf deren Entstehen wir unsere Leser schon wiederholt hingewiesen haben, und in eine Südgruppe in Galizien. Letztere könnten wir die „politische Armee Rußlands“ nennen. Die Stockholmer Nachricht will wissen, daß von Wilna aus der Hauptstoß der russischen Kräfte erfolgen soll. Auch auf die Möglichkeit dieses Gedankens haben wir schon vor Wochen hingewiesen, ihn allerdings schon damals als einen Traum bezeichnet. Und ein Traum ist er geblieben. Strategie aber ist klare, nüchterne Wirklichkeit.
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Aus allem und nicht zum wenigsten aus unseren amtlichen Berichten ist ziemlich klar erkenntlich, was nun unsererseits geschehen wird. Noch verbietet sich darüber jede Bemerkung. Die Stockholmer Nachricht stammt vermutlich aus dem konstruierenden Gehirne eines aufmerksamen Beobachters, denn es ist kaum anzunehmen, daß das russische Große Hauptquartier seine letzten Ideen nach Stockholm telegraphiert. Auch spricht die Räumung Kiews und Dünaburgs eher dafür, daß die genannte Idee der Russen weniger offensiv als defensiv verwirklicht werden soll. Man will mit jener an sich wahrscheinlichen Gruppierung vielleicht doch nur zu haltbaren Positionen kommen, um den Winter zu überdauern.
Bei der „politischen“ Armee Rußlands im Südosten scheint ein energischer Mann zu führen. Wir wiesen schon darauf hin, daß durch das Vorgehen der österreichischen Kräfte über Luzk die russische ostgalizische Armee in eine bedenkliche Lage kommt. Diese Lage ist seit der Wegnahme Dubnos und seit dem Uebergang österreichischer Heereskolonnen über die Ikwa und den Goryn noch beträchtlich bedenklicher geworden. Durch die Wegnahme Dubnos ist für die Armee Böhm-Ermolli das Vorgehen gegen die rechte Flanke der russischen Sereth-Linie erleichtert worden. Die Lage in Galizien kann vom russischen Standpunkt aus nur gerettet werden, wenn während der österreichisch-ungarischen Vorwärtsbewegung in Wolhynien die verbündeten Kräfte am Sereth und an der Strypa entscheidend geschlagen werden. Eine in Galizien siegreiche russische Armee braucht einen Feind in ihrer rechten Flanke nicht so sehr zu fürchten. Die strategischen Wirkungen der Umgehung hängen immer von der allgemeinen Lage bei den Hauptgruppen ab.
Aus diesen hier nur ganz skizzenhaft angeführten Gedankengängen geht die volle Erklärung für die Geschehnisse der letzten Tage hervor: Auf russischer Seite der heiße Wunsch, bei Tarnopol und Trembowlja zu siegen, auf verbündeter Seite das Bestreben, gerade hier unbedingt zu halten, bis die Armeen Puhallo und Böhm-Ermolli wirksam werden. Daß es hierbei zu harten Kämpfen und selbst zu teilweisem Zurückgehen und Aufgeben von Ortschaften und von irgendwie zu sehr exponierten Stellungen kommt, ist ganz selbstverständlich, ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, daß sich das russische Große Hauptquartier mit Gier auf den kleinsten Erfolg stürzt, und ihn dem in dumpfer Bangigkeit harrenden Volke als die durch den Zaren gewordene Erlösung kundgibt.
F. C. E.
Die nächste Ausgabe des historischen E-Papers erscheint am 17. September 2015.
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