Wiederum stehen wir vor einem Markstein in der Geschichte dieses großen Krieges. Die Festungsstadt Przemysl ist erstürmt worden. Die Hauptstadt des neugebildeten russischen Gouvernements Przemysl ist knapp zehn Wochen nach ihrem Verlust wieder in die Hände der verbündeten Armeen gefallen und aus Lemberg flieht in Eile alles, was an Behörden und Stäben zum Ruhm der Eroberer des galizischen Ostens seit Monaten versammelt war.

Der leichte Hauch, der den Namen dieser österreichischen Festung trotz allen Heldenmuts und der Ströme kostbaren Bluts, die ihre zähen Verteidiger während der viereinhalbmonatigen Belagerung vergossen haben, bevor sie vom Hunger bezwungen wurden, zu trüben schien, ist im Sturm zerstoben, der um die Wende dieses Monats über die Wälle und Wehre dieser Festungsstadt hinweggefegt ist. Was bleibt, ist nur die alte Einsicht, daß nichts so wandelbar und schwankend ist wie die Geschicke eines Krieges und wie die seltsamen Dinge, die der Mensch ihnen zum Geleit gibt, denn es ist noch nicht allzu lange her, daß man den russischen Zaren nach Lemberg und Przemysl führte und ihn dort rundweg sagen ließ: dies Gelaizien geb´ ich nie wieder her.



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Die Kriegslage zwischen San und Dnjestr war seit den Tagen zu unseren Gunsten entschieden, als es gelungen war, den Brückenkopf von Radymno zu erstürmen und im Osten von Faroslau auf dem rechten Sanufer endgültig festen Fuß zu fassen, und als die Truppenmasse, die vom Süden her zwischen oberem San und Stryj vorstieß, den Feind geworfen hatte. Von beiden Seiten fluteten die Heere über die russischen Stellungen hinaus in der Richtung auf Lemberg. Przemysl-Lemberg sind etwa 90, Stryj-Lemberg etwa 60 Kilometer. Von Westen her gingen unsere Truppen über Przemysl weit hinaus, umschlossen die Festung, sodaß nur eine schmale Lücke längs der Bahnlinie Przemysl-Lemberg blieb, und handelten wohl ähnlich, wie es oftmals bei dem Vormarsch in Belgien und Frankreich geschah: die Einschließung und der Angriff auf die Festung hinderte die strategischen Bewegungen der Hauptmasse der Armeen nicht. Der Vormarsch gegen Lemberg und die Operationen gegen Przemysl fielen dabei, so scheint es nach den bisher vorliegenden Meldungen, insofern zusammen, als der Vorstoß der beiden sich um Przemysl legenden Flügel möglichst viel Raum gewinnen mußte, vor allem im Sanabschnitt bei Jaroslau, um die verzweifelten, mit äußerster Energie und Rücksichtslosigkeit unternommenen Gegenstöße der Russen aufzufangen und von den Truppen, die die Festungswerke erkämpften, fernzuhalten.

Die Russen versuchten Przemysl um jeden Preis zu halten, sie scheuten keine Opfer bei ihren Entsetzungsversuchen, und es ist darum nicht unwahrscheinlich, daß die Beute, die unseren Truppen in der erstürmten Festung zugefallen ist, eine mehr als erfreuliche Höhe erreicht, zumal da die Eisenbahnlinie nach Lemberg in dem Zeitpunkt, in dem die Russen die Hoffnungslosigkeit ihrer Bemühungen, Przemysl zu halten, einzusehen gezwungen waren, bereits im Bereich unserer Geschütze lag. Was jetzt noch im Bezirk der Festung für die Sieger zu tun übrig sein mag, ist nicht mehr schwierig und wird sich mit derselben Ruhe und Sicherheit abspielen, wie etwa bei Lüttich oder Antwerpen, wo der Kern gleichfalls in deutscher Hand war, ehe die Reststücke der Schale völlig vernichtet und abgelöst waren. Das taktische Endergebnis steht jetzt schon fest – nun dürften wieder die Zahlen ihre lauter tönende Sprache sprechen.

Was die nächsten Wochen bringen werden, liegt im Dunkel. Das Auge sucht auf der Karte die Stadt Lemberg. Dieser Siegeszug durch Galizien war so gewaltig und so überzeugend, daß es schwer wird, an ein Ende zu denken. Daß wir noch nicht an seinem Abschluß stehen, ist gewiß. Die Armee des Generals von Linsingen ist nach ihrem glänzenden Sieg bei Stryj inzwischen schon bis zum Dnjestr vorgerückt. Sie kämpft bereits um den Dnjestrabschnitt bei Mikolajow. (Auf dem linken Flußufer, etwa dort, wo die Bahnlinie den Fluß kreuzt.) Andere Kolonnen eilen durch das Stryjtal auf Zydaczow (unweit der Mündung des Stryj in den Dnjestr). Die Frage wird sein, ob und wie lange sich die Russen in den Sumpfniederungen werden halten können. Wohl nicht allzu lange, sonst kommen ihnen die Verbündeten vom Westen her in die Flanke. Vom einen Erfolg im Südosten haben in diesem Stadium der Kämpfe die Russen ebensowenig entscheidenden Vorteil zu erwarten, wie von ihren Gewaltstößen am unteren San. Die strategische Lage der deutschen Armeen und ihrer wackeren Bundesgenossen in Galizien ist so glänzend, daß es nur auf ihre eigenen Entschließungen ankommt, wie weit sie nach dem glänzenden Feldzug der letzten Wochen die Offensive fortsetzen wollen.

Wir haben darum allen Grund, trotz der schweren Opfer, die uns und unseren Bundesgenossen dieser Krieg und dieser siegreiche Zug durch Galizien auferlegt hat, mit der größten Freude auf das Vergangene zu blicken und mit unerschütterlichem Vertrauen auf unsere Stärke in die Zukunft zu schauen. Wenn uns heute etwas drückt, so kann es nur dies sein, daß wir diesen siegesfrohen Fronleichnamstag nicht zusammen mit unseren prächtigen Bayern, mit allen tapferen Streitern und Siegern von Przemysl in der eroberten Stadt festlich begehen können.

Die nächste Ausgabe des historischen E-Papers erscheint am 09. Juni 2015.

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