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Galizien überlebte als Land nicht einmal 150 Jahre: 1772 an das Habsburgerreich gelangt, verschwand das Gebiet, dessen Name auf Basis mittelalterlicher Quellen herbeikonstruiert worden war, 1918 von der Landkarte. Heute verläuft die Ostgrenze der EU mitten durch das einstige Kronland, mit einem polnischen Teil rund um Krakau im Westen und der Westukraine mit dem Zentrum Lviv/Lemberg im Osten.
Das Streben der Westukraine nach einer Annäherung an Europa hat direkte Wurzeln in dieser Geschichte. Das macht die Schau „Mythos Galizien“, die nach einer erfolgreichen Laufzeit in Krakau nun bis 30. August im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen ist, so aktuell.
Doch es ist nicht der einzige Grund, warum die „Wiederentdeckung“ des Landstrichs ein wichtiger, notwendiger Schritt zum besseren Verständnis Europas ist. Wie die Schau mit zahlreichen Dokumenten, Fotos und Filmen in ebenso dichter wie verständlicher Weise vermittelt, ist Galizien mit so vielen Bedeutungen konnotiert wie wenige Landstriche sonst. Wie bei einer geologischen Expedition werden also Schichten freigelegt, die jüdische, ukrainische, österreichische und polnische Perspektiven widerspiegeln.
Lemberg, Texas, Irland
Aus Wiener Sicht war das Territorium, das flächenmäßig knapp dem heutigen Österreich entsprach, zunächst einmal ein Hinterland, das kolonisiert und veredelt werden musste. Im 19. Jahrhundert wurde Galizien dank Ölförderungen zum „österreichischen Texas“. Das Habsburgerreich, auch das erfährt man in der Schau, war um 1900 der drittgrößte Erdölproduzent der Welt.
Doch obwohl sich die Machthaber seit Joseph II. bemühten, an der Provinz ein Exempel der Fortschrittlichkeit zu statuieren, blieb Galizien zugleich Sinnbild von Rückständigkeit und Armut. Der Bevölkerungsreichtum, der nicht mit materiellem Wohlstand in Einklang ging, führte zu massiven Emigrationsbewegungen – rund eine halbe Million Menschen, so ist in der Schau zu lesen, versuchte ihr Glück in Übersee, mehrere Zehntausend kamen nach Wien. Galizien ist damit auch – nicht unähnlich wie etwa Irland – Sehnsuchtsort einer über die Welt verstreuten Gemeinde.
Besonders für Juden hat die Region bis heute eine tiefe Bedeutung. Mit zehn Prozent stellten Juden in Galizien einen höheren Anteil an der Bevölkerung als jedem anderen Kronland; die lange Kontinuität jüdischen Lebens machte Galizien zum Boden dessen, was man – in positiver wie negativer Färbung – „ostjüdisch“ nannte. Doch auch Oświęcim/Auschwitz liegt auf jenem Territorium, das einst Galizien hieß.
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Einige der beeindruckendsten Exponate der Ausstellung sind Fotos und Filmstücke, die Eindrücke jüdischen Lebens um 1939 zeigen. Es sind die letzten Bilddokumente einer Welt, die kurz später unwiederbringlich zerstört werden sollte.
Galizien, das einst als „tabula rasa“ kolonisiert worden war, gehört zu jener Region, die der US-Historiker Timothy Snyder „Bloodlands“ nennt. Durch den Holocaust, durch Kriegsschlachten und „ethnische Säuberungen“ unter Hitler und Stalin wurde Galizien regelrecht entvölkert. Wie ein Präludium dazu muten die Fotos standrechtlicher Hinrichtungen im Ersten Weltkrieg an, die der Autor Martin Pollack beisteuerte: In jener Zeit, in der Joseph Roth seinen „Radetzkymarsch“-Protagonisten sinnlos an der Grenze sterben ließ, wütete die K.-u.-k.-Armee auch gegen die eigene Zivilbevölkerung.
Als schwacher Lichtblick muten da die Kunstwerke aus jüngster Zeit an, die am Ausgang der Schau dem Wunsch nach einer galizisch-europäischen Renaissance Ausdruck verleihen. Wer sich die Geschichte dieser gebeutelten Gegend vergegenwärtigt hat, kann nur das Beste hoffen.
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