Neue Freie Presse am 6.12.1914

Ganz still ist es heuer an der französischen Riviera. Die Stätten, an denen sonst internationale Lebenslust, leicht beschwingter Übermut und die Launen sorglosen Reichtums in der sonnigen Helligkeit der südlichen Landschaft sich austobten, liegen jetzt leer und verlassen da. Die Rollläden der prächtigen Villen in Nizza und Menton sind dicht verschlossen, die Cafés und Restaurants harren vergebens der Schar der Besucher, nur die palastartigen Hotels sind stark belegt, nämlich von verwundeten und kranken Offizieren und Soldaten der alliierten Armeen. Von Cannes bis an die Grenze von Italien ist eine herrliche sonnige Szenerie aufgetan, doch die Akteure des großen Gesellschaftsspiels sind diesmal ausgeblieben. Eine schwere wirtschaftliche Krise ist infolge des fehlenden Fremdenverkehrs über die französische Riviera hereingebrochen. „Frankreich“, so ein Hotelbesitzer in Nizza, „erleidet in diesem Krieg doppelten Schaden: im Norden durch den Einbruch der Deutschen, im Süden durch ihr Ausbleiben.“ Das Kasino in Monaco soll noch im Lauf des Dezember eröffnet werden. Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass diese Attraktion heuer der französischen Riviera eine nennenswerte Anzahl von Besuchern verschaffen wird.

 

Grausames Vorgehen gegen Juden

Russische Plünderungen in Galizien.

Neue Freie Presse am 5.12.1914

Es fehlen noch die amtlichen Darstellungen der russischen Schreckensherrschaft in Galizien, aber auf Grund von privaten Mitteilungen kann man sich schon jetzt ungefähr eine Vorstellung von der Vernichtung und Verwüstung der vom Feinde geräumten Landstriche entwerfen. Das Leben der christlichen Einwohner haben die Russen im großen und ganzen geschont. Gefährlicher war die Lage der Juden, welche öfter bei der Ausplünderung der Läden dem Kosakenübermut zum Opfer fielen. Die neuzeitlichen Hunnen vergriffen sich auch oft an minderjährigen jüdischen Mädchen und vergewaltigten dieselben in bestialischer Weise. Manche von diesen Unglücklichen erlagen ihren Leiden, andere liegen in den Spitälern krank danieder. Das Leben war aber auch größtenteils das einzige, was die Russen ihren „slawischen Brüdern“ übrig gelassen haben. Die teilweise eingeäscherten Städte und Städtchen bieten das Bild ärgster Verwüstung. In allen vom Feuer verschonten Wohnungen ist buchstäblich alles zerschnitten, zertrümmert und zerschlagen. In den Parterrezimmern und Salons, welche gewöhnlich von den Russen als Stallungen benützt wurden, liegen ganze Haufen von Mist und Dünger. In die Brunnen warfen die Russen allerlei Abfälle und Pferdekadaver, so dass in manchen Ortschaften alle Brunnen unbrauchbar wurden.

 

Wohin mit den russischen Kriegsgefangenen?

Gefangene bauen sich die Barackenlager selbst.

Neue Freie Presse am 4.12. 1914

Sie strömen uns jetzt auf allen Bahnlinien zu, die Gefangenen aus den Karpaten, vom polnischen Kriegsschauplatz. Man kennt schon allgemein den Typus der Leute: Große, kräftige, meist wohlgenährte Gestalten, gutmütige Gesichter. Zum erstenmal begegneten mir ein paar Russen in sonderbar improvisierter Winterausrüstung: sie hatten sich aus den Kalbfellen erbeuteter österreichischer Tornister hohe Fellmützen zurechtgeschneidert. Andere trugen österreichische Winterschutzmittel: Wollwäsche und Handschuhe; durch Ungeschicklichkeit eines Lokomotivführers ist nämlich letzthin auf einer südgalizischen Station ein Waggon solcher Sorten in Feindeshände geraten. An vierzehn Punkten Ungarns zum Beispiel baut man jetzt umfangreiche Barackenlager. Die Gefangenen selbst geben das Arbeitspersonal dazu ab. Ich habe jüngst ein solches Lager besichtigen dürfen, wo eine Musterstadt für sechstausend Einwohner entsteht, mit elektrischer Beleuchtung, gepflasterten Straßen und Wasserleitung. Sogar ein Krematorium, das erste in der Monarchie, gibt es hier; darin werden die Opfer der Cholera verbrannt werden, wenn die Krankheit etwa im Frühling wieder aufleben sollte.

 

Die Eroberung von Belgrad

Einzug der k.u.k. Truppen als große Genugtuung.

Neue Freie Presse am 3.12.1914

Seit der Niedermetzelung des Königs Alexander aus dem Hause Obrenovic und seit der Wiedereinsetzung der Dynastie Karageorgevic war der Name der Stadt Belgrad für uns mit allen Feindseligkeiten für die Monarchie verknüpft. Wir haben aus den Verhandlungen im Gerichtssaal von Sarajevo gehört, dass ein Netz von Aufruhr und Mordplänen über einen großen Teil der Monarchie gebreitet wurde. Belgrad war einer der Mittelpunkte der panslawistischen Kriegspartei. Der Einzug unserer Truppen ist daher eine Genugtuung für all die Gehässigkeiten, die von dort unter dem Schutze der russischen Großmacht gegen uns angezettelt worden sind. Die Nachricht, dass unsere Truppen in Belgrad eingezogen sind, wird auch eine starke Wirkung auf das serbische Volk haben. Die wiederholten Niederlagen der serbischen Armee, die großen Verluste, welche sie bereits erlitten hat, und die Schwächung ihres Zusammenhaltes und ihres Kampfwillens, die sich schon in der Zahl der Gefangenen deutlich zeigt, und jetzt die Besetzung der Hauptstadt durch den Feind müssen den reuevollen Gedanken hervorrufen, ob es denn richtig war, die Monarchie beständig herauszufordern und sich ganz in den Dienst eines zum Weltkrieg drängenden Panslawismus zu begeben.

 

Riskante Fahrt eines deutschen Postdampfers

Briefe in die USA brauchen vier Monate.

Neue Freie Presse am 2.12.1914

Aus in den letzten Tagen von Amerika eingelangten Briefen ist zu entnehmen, dass zahlreiche Postsendungen aus Deutschland und Österreich, welche Ende Juli und im August abgesendet wurden, gegen den 8. November in New York anlangten. Man war in dem Glauben, dass diese Post von englischen Schiffen gekapert worden sei; allein nunmehr veröffentlicht die „New York World“ einen Bericht, demzufolge ein deutscher Dampfer mit zirka 4000 bis 6000 Säcken Post aus Europa in Amerika angelangt ist. Der Bericht, der die Überschrift trägt: „Die erste Post von Deutschland seit Ausbruch des Krieges“, lautet: „Ein unbekannter deutscher Dampfer nähert sich mit etwa 4000 bis 6000 Säcken Post dem Kap Henry und dürfte in Hampton Roads morgen anlangen. Das Postamt in Norfolk wurde heute beauftragt, alle verfügbaren Postbeamten und Postsäcke in Bereitschaft zu halten, um die anlangende Post zu übernehmen und sofort zu expedieren. Der Dampfer soll angeblich von Hamburg kommen, und es ist ihm gelungen, trotz der französischen und englischen Schiffe die erste direkte Post von Deutschland nach Amerika zu bringen. Der Dampfer landet in Norfolk, weil er fürchtet, dass englische Kriegsschiffe ihn abfangen würden, doch ist er nunmehr bereits in Sicherheit.“

 

Weniger Schlagobers für Kaffeehausgäste

Keine Schlemmereien in der Zeit der Milchknappheit.

Neue Freie Presse am 1.12.1914

Die Genossenschaft der Kaffeesieder in Wien hat heute in sämtlichen Kaffeehäusern nachstehende Kundmachung für das weitere Verhalten der Kaffeehausgäste in Anbetracht der derzeit herrschenden Milchknappheit gerichtet: “Die schweren Zeiten, die unser geliebtes Vaterland durchzumachen hat, verpflichtet jeden einzelnen Staatsbürger zur Sparsamkeit mit allen Lebensmitteln, um dadurch der Allgemeinheit nützlich zu sein. Dies gilt hauptsächlich von der Milch, einem der wichtigsten Lebensmittel. Um deshalb der eingetretenen Milchknappheit steuern zu können, ist es patriotische Pflicht eines jeden Staatsbürgers, die größte Sparsamkeit walten zu lassen. Während der Kriegszeit ist daher mit dem Schlagobers mit der größtmöglichen Sparsamkeit umzugehen, umso mehr als mit jedem ersparten Liter Schlagobers 10 bis 19 Liter Milch der Allgemeinheit erhalten bleiben.”

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