Von Christoph Mair

Innsbruck – Die Ernüchterung auf die vielerorts euphorisch aufgenommene Nachricht vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges folgte rasch und grausam – ja tausendfach tödlich. Im August 1914 waren auch Tausende Tiroler Soldaten nach Galizien verfrachtet worden, um gegen Russland zu kämpfen. Galizien, jenes historische Kronland auf dem Gebiet des heutigen Südpolen und der westlichen Ukraine sollte durch strategische Fehler des Generalstabes, sinnlose Offensiven und einen hohen Blutzoll zu einem Trauma für die Österreich-Ungarn und damit auch für Tirol werden.

Mit rund 800.000 Soldaten stellte sich Österreich-Ungarn 1914 Russland gegenüber. Nach einem Monat sollten bereits 300.000 tot oder schwer verwundet, weitere 100.000 von den Russen gefangen genommen worden sein. Auch die vier Tiroler Kaiserjägerregimenter und die Landesschützen war arg dezimiert worden. Und demoralisiert. Denn sie wurden für Siege verheizt, die zwar von der Propaganda aufgebauscht, strategisch jedoch kaum Bedeutung gehabt hätten, schreibt Michael Forcher in seinem neuen Buch „Tirol und der Erste Weltkrieg“.

Von den angeblich so ritterlichen Kämpfen der verfeindeten Armeen sei in der Realität der Schlachtfelder, Stacheldrahtverhaue und Schützengräben nichts übrig geblieben sagt Forcher. Dieses Bild sei durch die so genannte „Offiziershistoriografie“ der Zwischenkriegszeit entstanden, die das Ziel hatte, die „großen Waffentaten“ in einem ehrenden, glorifizierenden Licht darzustellen. Vom wahren Schrecken des Krieges erzählen hingegen Tagebucheinträge und Feldpostbriefe, die nicht zur Gänze der Zensur zum Opfer gefallen sind. Sie lassen auch hundert Jahre später die Angst und Verzweiflung spüren, die angesichts des Grauens auf den Soldaten gelastet haben müssen: „Ich sah die Toten und Verwundeten, hob die Hände und floh wie ein Wahnsinniger, nur weg von diesem verfluchten Bild, die Gedanken bei den vielen unverschuldet unglücklichen Opfern und bei Gott, der diese Grausamkeit zulässt“, vertraut der Trentiner Soldat Giovanni Pederzolli seinem Tagebuch an.

Dramatisch und literarisch kraftvoll zugleich sind die Schilderungen des Burggräfler Kaiserjägers Matthias Ladruner Parthanes über das elende Sterben im Kugelhagel: „Ein Stöhnen und Jammern. Ein Bitten und Beten – ohne Ende. Dort Menschen im Todeskampf, bleich, mit Schweißperlen auf der Stirn. Und Blut, nichts als Blut.“

Von diesen bitteren Erfahrungen gleich zu Beginn des Krieges erholte sich die österreichisch-ungarische Armee, ja die ganze Monarchie nie mehr. Doch es waren nicht nur die Lücken im Truppenkörper, die nicht mehr aufgefüllt werden. Mindestens ebenso schwer wog die früh einsetzende Desillusionierung bei den Truppen genauso wie im Hinterland. Schon im September und Oktober 1914 hätten Befehlshaber berichtet, dass neue Soldaten „kopfhängerisch“ an die Front gekommen seien, sagt Michael Forcher. „Die haben gewusst, worauf sie sich einlassen.“ Über Feldpostbriefe, die Erzählungen von Verwundeten und die immer häufigeren Todesnachrichten sei auch an der so genannten „Heimatfront“ schon bald klar geworden, was der Krieg wirklich bedeutet. Dessen lange Dauer verbunden mit immer geringeren Erfolgsaussichten bei einer sich gleichzeitig immer weiter zuspitzenden Versorgungskrise hätten weiter zur Kriegsmüdigkeit beigetragen. Die Propagandamaschine verlor immer mehr an Einfluss und Glaubwürdigkeit.

Tirol hatte der Krieg schon lange vor der Eröffnung der Südfront nach der Kriegserklärung Italiens im Mai 1915 fest im Griff. „In Galizien sind mehr Tiroler gefallen als an der Italienfront“, sagt Historiker Michael Forcher.

Comments

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.