Neue Freie Presse am 11.4.1914

Zu einer eindrucksvollen Kundgebung gestaltete sich das heutige Massenmeeting der Badner Steuerträger. Lange vor Beginn der Versammlung war der Kursaal dicht besetzt und selbst die Galerie von sehr vielen Frauen überfüllt. In sehr vielen Fällen, speziell aber bei den Gewerbetreibenden, wurde betont, habe eine enorme Erhöhung der Personaleinkommenssteuer für das Jahr 1913 Platz gegriffen. Die Erhöhungen bewegen sich zwischen 50 und 300 Prozent. Diese enormen Steuererhöhungen erscheinen umso ungerechtfertigter, als die Saison 1912/13 zu den schlechtesten gehöre, welche je in Baden herrschte. Baden ist zwar ein reizender Erdenfleck, aber zu nahe bei Wien. Alles geht nach Wien einkaufen. Trotzdem betrugen die Steuererhöhungen für die Gewerbetreibenden 50 bis 200 Prozent. Die Kundgebung solle dazu dienen, dass die Bevölkerung endlich einmal gegen die so unerhörten Steuererhöhungen vorgeht. Auch protestiert die Bürgerschaft dagegen, dass die Steuerbehörde in jedem Steuerträger einen Betrüger im vorhinein sehe.

Heute vor 100 Jahren: Unfälle auf der Straße – schuld sind nicht die Autos

Die Zeitung veröffentlicht eine Unfallstatistik, Kritik an Autos ist unberechtigt.

Neue Freie Presse am 10.4.1914

Von den 2147 Unfällen des Jahres 1912 entfielen auf das Pferdefuhrwerk 887, auf Autos und Motorräder 772, auf die Straßenbahn 488 Unfälle. 1913 verursachten die Autos und Motorräder 750 Unfälle. Also trotz der zweifellos im Jahr 1913 größeren Anzahl von automobilisierten Vehikeln findet man eine wenn auch geringe Verminderung der Unfallziffer, während die Straßenbahn 1913 eine um 48 Prozent höhere Unfallziffer aufweist. Das ist ein sehr erfreuliches Resultat insofern, als es der Achtsamkeit der Kraftwagenlenker ein glänzendes Zeugnis ausstellt. Bekanntlich besteht ja die Absicht, die periodisch alle Jahre vorzunehmende Untersuchung der Autotaxichauffeure durch Ärzte auch auf die große Zahl der Privatautoführer auszudehnen. Die Statistik zeigt aber, dass an keinem der bisherigen Autounfälle körperliche oder geistige Untauglichkeit des Chauffeurs die Schuld war und dass nicht anzunehmen sei, dass die ärztliche Untersuchung irgendwelche Garantien gegen Autounfälle zu bieten vermag.

Heute vor 100 Jahren: Wollen die Ukrainer zu Russland?

Russland betreibt massive Propaganda in der ruthenischen (ukrainischen) Bevölkerung Galiziens.

Neue Freie Presse am 9.4.1914

Der Aufschwung der russophilen Idee in Galizien wurde begünstigte durch den Mangel an Interesse seitens Österreichs für die Vorkommnisse unter den Ruthenen. Die „Altruthenen” sahen sich vereinsamt und suchten einen Gönner. Sie fanden sich in Russland. Die offiziellen Kreise in Petersburg lenkten die Aufmerksamkeit auf Galizien. Reiche Geldquellen wurden den russophilen Agitatoren erschlossen. Doch gar bald zeigte es sich, dass diese aufgebauschte, künstlich durch die aus Russland in Hülle und Fülle strömenden Geldmittel genährte Aktion an einem natürlichen Hindernisse scheitere: an der Unmöglichkeit, die russophile Idee in eine Massenbewegung umzusetzen. Der russische Gedanke drang höchstens zu vereinzelten Individuen vor, fand jedoch gar keine Entwicklungsbasis bei den Volksmassen. „Die nationale Einheit mit Russland” wurde vor tauben Ohren gepredigt.

Heute vor 100 Jahren: Strenge Regeln für Zeitungskolporteure

Wie darf die Zeitung auf der Straße verkauft werden? Und was darf drinnen stehen?

Neue Freie Presse am 8.4.1914

Die Behörde kann die Erlaubnis für den Straßenverkauf und den Hausierhandel gemeinsam oder gesondert erteilen. Der Straßenverkauf der Zeitungen ist täglich von 6 Uhr früh bis 10 Uhr nachts, an Sonntagen bis 12 Uhr nachts feilgeboten werden. Der Verkäufer darf lediglich den Titel und den Preis der Zeitung ausrufen. Die Verordnung enthält weiter Einschränkungen bezüglich der Veröffentlichung behördlicher Akten. Danach wird bestraft, wer ohne Genehmigung der Behörde eine mit Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführte Gerichtsverhandlung publiziert oder Eingaben oder Akten in Disziplinarangelegenheiten, bei Eheanfechtungen, Geburtslegitimierungen, Verlängerung der Minderjährigkeit, Stellung unter Kuratel, Entlassung aus der väterlichen Gewalt, Aufnahme in eine Irrenanstalt oder Entlassung aus derselben, Eingaben an die Jugendgerichte usw. veröffentlicht.

Heute vor 100 Jahren: Das Fiasko des Tango in Wien

Die Tanzsaison ist vorbei, der neue Modetanz – ein Flop.

Neue Freie Presse am 7.4. 1914

Heute, da die Tanzsaison vorbei ist, kann es ruhig herausgesagt werden, dass der Tango in Wien ein fulminantes Fiasko erlebt hat. Merkwürdigerweise aber nur in Wien. In allen anderen Großstädten der Welt wurde dieser argentinische Tanz mit Furor durchgetanzt, aus Berlin, Paris, London hört man nichts von Tangomüdigkeit, sodass man wohl voraussetzen darf, dass er dort den Sommerschlaf überdauern und in der nächsten Saison wieder auftauchen wird. Nur in Wien scheint er endgültig erledigt zu sein, verbannt aus den privaten und öffentlichen Gesellschaften, ausgemerzt aus dem Ballleben, beschränkt auf jene Nachtlokale, die unter der Erde liegen und von goldstrotzenden Portiers behütet werden. Umsichtige Salonlöwen haben die wahren Ursachen des Tangodebakels bald erfasst, und wenn sie Mut hatten, so sagten sie es ganz laut, dass der Tango sich in Wien nicht einbürgern werde, weil – man ihn nicht tanzen könne.

Heute vor 125 Jahren: Der ärgerliche Garderobezwang in der Oper

Nepp im Hofoperntheater, Zuschrift eines verärgerten Lesers.

Neue Freie Presse am 6.4. 1889

Betreffend den für die Besucher der vierten Galerie des Hofoperntheaters eingeführten Garderobezwang, erlaube ich mir die Bemerkung, dass diese Maßregel offenbar lediglich eine fiskalische ist. Wie ich aus langjähriger Erfahrung weiß, hat das Mitbringen der Überkleider, welche meist unter die Sitzbänke geschoben oder auf die Sitzbänke selbst gelegt werden, niemals irgend jemandem aus dem Publikum auch nur zur geringsten Belästigung gereicht. Dagegen kann sich jedermann überzeugen, dass die besprochene Maßregel im gesamten Publikum der vierten Galerie eine immer aufs neue sich äußernde Entrüstung hervorgerufen hat und noch jetzt alltäglich zu unerquicklichen Auseinandersetzungen mit dem streng vorgehenden Dienstpersonal Anlass gibt. Schließlich erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass die fragliche Maßregel ursprünglich mit der durch Mitbringen der Überkleider angeblich gefährdeten Sicherheit bei Feuersgefahr begründet wurde, welche Motivierung denn doch bei näherer Betrachtung der Sachlage sich als vollkommen hinfällig erweist.

Heute vor 100 Jahren: Kommt Rechtsruck in Frankreich?

Rechtsnationaler Kurs in Frankreich bedeutet Gefährdung des Friedens.

Neue Freie Presse am 5.4.1914

Wenn die Neuwahlen  eine entschieden demokratische Mehrheit ergeben, wird es leichter sein, in Frankreich zu regieren, leichter, aktive innere Politik zu treiben. Erfolgt jedoch eine Verschiebung nach rechts, wie sie schon seit langem im Lande vorbereitet wird, so wird die neue Kammer der Schauplatz unfruchtbarer Kämpfe werden, und die äußere Politik der Republik kann wesentliche Änderungen erfahren, Änderungen, die nicht erfreulich scheinen. Eine feste, ausgesprochen und ehrlich demokratische Regierung in Frankreich pflegt man als eine Bürgschaft für die Erhaltung des Weltfriedens anzusehen. Eine solche Regierung ist nur möglich, wenn die Neuwahlen eine entschieden demokratische Mehrheit bringen. Eine Verschiebung nach rechts in Parlament und Regierung aber würde voraussichtlich die Tendenzen stärken, die gewisse nationale Bestrebungen höher stellen als die Erhaltung des Weltfriedens. Das französische Volk hat die Entscheidung in der Hand.

Vor 100 Jahren: Ostermarkt am Hernalser Kalvarienberg

Nusskipferl und Bamkraxler – Besuch auf dem traditionellen Kirchenplatz.

Neue Freie Presse am 4.4.1914

Das Treiben am Kalvarienberg während der Fastenzeit ist so lebhaft als nur jemals. Die alte Wallfahrtsstätte hat sich ihre Kundschaft zu erhalten gewusst. Schon am Elterleinplatz, wohin man mit der Elektrischen durch die Jörgerstraße gelangt, kann man etliche Jahrmarktsstandeln gewahren. Die Kalvarienberggasse ist für den Wagenverkehr abgesperrt. Wäre auch schwer zu denken, wie und wo sich da durch das Gewühl ein Fuhrwerk Durchlass erzwingen wollte. Die steilansteigende Straße ist von unten bis zum Kirchenplatz hinauf von Buden eingesäumt, zwischen Verkäufern und Käufern schiebt sich die Menge, rote, blaue und violette Luftballons schweben wie Riesentrauben in der Luft. So wird ausgiebig gesorgt, dass es auch in der Fasten- und Bußzeit nicht an Süßigkeiten, Erlustigung und Schnickschnack fehle, und kleinen und großen Kindern wird da zum Kauf geboten, was an Tand und Naschwerk harmlose Gemüter ergötzen kann. Vom Nusskipferl bis zum begehrten Bamkraxler.

Heute vor 125 Jahren: Die Frau als Arzt

Vortrag von Frau Dr. Rosa Kerschbaumer über ärztliche Berufspraxis von Frauen.

Neue Freie Presse am 3.4. 1889

Frau Dr. Kerschbaumer ist eine angenehme und vornehme Erscheinung mit auch nicht einem der Attribute des verrufenen weiblichen Studententums, vielmehr hübsch, modern und elegant gekleidet und höchstens 35 Jahre alt. Sie warf zwei Fragen auf: Ist die weibliche ärztliche Berufsbildung ein Bedürfnis? Und werden die Frauen, wenn sie sich diesem Berufe widmen, den Anforderungen genügen? Beide Fragen bejahte sie bedingungslos. Sie behauptete, dass die Frauen viele krankhafte Zustände nur mit Widerwillen und oft gar nicht dem männlichen Arzt anvertrauen, wodurch unheilbare Krankheiten entstehen. Der weibliche Ärztedienst sei daher eine sittliche und sanitäre Notwendigkeit.  Gegen das Argument, die ärztliche Praxis kollidiere mit den weiblichen Pflichten als Frau und Mutter, machte Frau Dr. Kerschbaumer geltend, dass die große Mehrzahl der weiblichen Ärzte überhaupt nicht heiratet, weil ihnen ihr edler Beruf vollauf genügt, und dass jene, welche Lebensgefährten haben, dieselben in ärztlichen Kreisen fanden, mit denen sie ja hauptsächlich verkehrten. Von einer Verrohung des weiblichen Gemüts durch den ärztlichen Beruf könne keine Rede sein.

Heute vor 30 Jahren: FPÖ-Chef Steger: General ohne Bataillone?

Erstmals an der Regierung: die traditionelle Oppositionspartei FPÖ.

Die Presse am 2.4.1984

Der gesamtösterreichische Anteil der Freiheitlichen sank bei der letzten Wahl von sechs Prozent auf 4,97. Den Auszehrungsprozess dem 40jährigen Parteiobmann Norbert Steger zuzuschreiben, wäre die falsche Fährte. Der Schrumpfungsprozess des national-freiheitlichen Lagers setzte schon bald nach der Sammlung 1949 im „Verband der Unabhängigen” ein und verstärkte sich, als am 17. Oktober 1955 die FPÖ mit betont nationaler Ausrichtung gebildet wurde und die eventuell noch ansprechbaren liberalen Wähler ausschieden. In der derzeitigen Not und Bedrängnis unternahm Steger das an sich Richtige: Er versuchte, neue Wählerschichten zu erschließen, weil abzusehen war, dass man nicht auf Dauer von der immer kleiner werdenden Gruppe nationaler Protestwähler werde leben können. Er zielt auf die Liberalen in Österreich, die man dann selbst mit der Lupe suchen müsste, wüsste man endlich, was man darunter versteht.

Heute vor 100 Jahren: Entrüstung bei Burgtheater-Besuchern

Am Sonntag keine Abendvorstellung – Blamage für publikumsfeindliche Direktion.

Neue Freie Presse am 1.4.1914

Jetzt hat sich das Burgtheater ein Stückchen geleistet, wie es kurioserweise kaum ausgeklügelt werden kann. Sieht man heute den Spielplan der Wiener Theater an, so entdeckt man unter „Burgtheater Sonntag Abend” nichts wie einen Strich. Es wird überhaupt nicht gespielt. Und warum? Weil am Nachmittag „Don Carlos” aufgeführt wird. Weltfern und publikumsfremd, wie die oberste Leitung unserer Hofbühnen ist, scheint sie nicht zu ahnen, dass viele Leute zwar sehr gerne Sonntag ins Burgtheater gehen, aber um halb drei weder Zeit noch Lust dazu haben; scheint nicht zu empfinden, dass man durch solche Gewaltstückchen das Publikum dem Burgtheater entfremdet und entwöhnt, und wäre wahrscheinlich wie aus den Wolken gefallen, erführe sie durch einen Zufall, dass eben der Sonntagabend nach gut bürgerlicher Tradition der Burgtheaterabend des großen, in der Woche arbeitenden Publikums ist.

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