Jul
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Fassungslos starrten die Menschen auf die Rauchsäule, die sich am 3. Dezember 1992 dicht, schwarz und stinkend über dem Meer vor der galizischen Hafenstadt La Coruña in den Himmel schraubte. Schneller als jeder Radio- oder Fernsehsender verkündete sie die schier unfassbare Nachricht: An den Klippen vor der Hafeneinfahrt war ein Öltanker zerschellt.
Das Unglücksschiff hieß “Aegean Sea”. Der Tanker hatte in der Bucht von Ares vor Anker gelegen und darauf gewartet, in den Hafen von La Coruña einfahren zu dürfen. Am Morgen dieses 3. Dezember war es endlich so weit. Der Kapitän lichtete die Anker. Er hoffte wohl noch vor dem angekündigten großen Unwetter in den sicheren Hafen zu gelangen. Stattdessen geriet er mitten hinein. Der Wind peitschte mit Geschwindigkeiten bis zu 90 Kilometern pro Stunde übers Wasser. Das Schiff kämpfte sich durch bis zu neun Meter hohe Wellen. Als es das Kap vor der Hafeneinfahrt umfuhr, schleuderten die Naturgewalten den Tanker auf die ufernahen Felsen. Die sechs Seeleute an Bord wurden bald gerettet. Doch das Schiff war verloren.
Mehrere Stunden versuchten Schlepper verzweifelt, den griechischen Tanker wieder flott zu machen und mussten dann doch aufgeben. Um zehn Uhr morgens brach das 19 Jahre alte Schiff in der Mitte durch. Kurz danach explodierte ein Teil der Ladung, die “Aegean Sea” ging in Flammen auf. Der Bug sank 50 Meter tief auf Grund. Das Heck mit den Aufbauten ragte gut sichtbar aus dem Wasser und rauchte noch etliche Stunden weiter. 74.000 Tonnen Rohöl ergossen sich ins Meer. Brennende Ölteppiche trieben auf dem Wasser. Die Küste glich über Stunden einem apokalyptischen Inferno. Für die Einheimischen war es ein fast traumatisches Déjà-vu.
Es war bereits die dritte Ölkatastrophe in nur 16 Jahren. 1976 war an gleicher Stelle der Öltanker “Urquiola” in Flammen aufgegangen und hatte das Meer mit 100.000 Tonnen Rohöl verseucht. Zwei Jahre später explodierte die “Andros Patria”, 34 Seeleute kamen dabei ums Leben und 50.000 Tonnen Rohöl strömten ins Meer.
“Nunca Máis – nie wieder!”
Es gab Mutmaßungen, dass ein Fluch auf Mensch und Region lastete. Doch so war es nicht: Als größter Hafen in Galizien war La Coruña Hauptumschlagplatz für Rohhöl in der Region. Der spanische Erdölkonzern Repsol betrieb dort eine Raffinerie, die auch die “Aegean Sea” an jenem Donnerstagmorgen im Dezember 1992 beliefern wollte. Es herrschte reger Tankerverkehr an den galizischen Kaps mit ihren vielen Untiefen und Riffen. Dass dort Schiffe havarierten, sei, wie es der SPIEGEL 1992 zynisch formulierte, keine Katastrophe sondern “statistisch gesehen beinahe zwangsläufig”.
Resigniert stakten nach dem Unglück Fischer mit ihren Booten durch die stinkende Brühe, um sie in sauberes Wasser zu retten. Tausende Vögel kämpften sich durch das wabernde Gift, wenn sie darin nicht schon umgekommen waren. Innerhalb kürzester Zeit waren Klippen, Strände und Hafenmolen auf einer Länge von 200 Kilometern mit der dunkelbraunen Masse bedeckt. Auf dem offenen Meer trieb ein 100 Quadratkilometer großer Ölteppich.
Die Bilder der Verwüstung an der “Küste des Todes”, wie die Medien die Region bald nannten, gingen um die Welt und mit ihnen die Berichte über die Verzweiflung der Galizier. “Nunca Máis – nie wieder!”, skandierten sie zu Tausenden auf der Straße. Es war die kalte Wut, die sie antrieb. Zum dritten Mal war die Muschelernte, von der viele Menschen rund um La Coruña lebten, dahin. Zum dritten Mal sahen die zahllosen Fischer ihren Jahresverdienst dahinschwinden, da es bis auf weiteres nichts zu fischen gab. Zum dritten Mal wurde die gesamte Natur unter dem Ölteppich erstickt und es drohten die Touristen auszubleiben. Der Sprecher der galizischen Fischer Juan López bezifferte den entstandenen Schaden auf rund 75 Millionen Mark – und rund 4500 arbeitslos gewordene Fischer.
Noch ein Déjà-vu
Die Schuldfrage blieb vor diesem Hintergrund erst einmal zweitrangig. Für ein schnelles Urteil war die Lage auch viel zu komplex. Der griechische Kapitän schob die Verantwortung dem Hafenlotsen zu – und der Hafenlotse dem Kapitän. Klar war nur, dass sich die “Aegean Sea” ohne Lotsen auf den Weg in den Hafen gemacht hatte. Erst Jahre später urteilte das zuständige Gericht und machte beide verantwortlich: Der Kapitän hätte nicht ohne Lotsen losfahren dürfen. Der Lotse hätte dem Kapitän kein grünes Licht geben dürfen, alleine in den Hafen zu steuern. Menschliches Versagen auf ganzer Linie.
Die Hauptsorge der Menschen in der Region war eine andere. Sie ahnten bereits, dass weder der Staat noch die Reederei für den gewaltigen Schaden aufkommen würde – und sie allein die wirtschaftlichen Folgen würden ausbaden müssen. Zweimal war es schon so gewesen. Die Entschädigungszahlungen kamen spät und waren mager, weil die Schiffseigner nur begrenzt haften. Im Fall der “Urquiola” hatte es sechzehn Jahre gedauert.
Dass es auch anders ging, zeigte den Protestierenden ein Blick in die USA. Drei Jahre zuvor war der amerikanische Öltanker “Exxon Valdez” vor Alaska auf Grund gelaufen. Und Washington handelte sofort: Knapp ein Jahr später wurde der Oil-Pollution-Act (OPA) verabschiedet. Das Gesetz hob unter anderem die Haftungsbeschränkung für Reeder auf und regelt eine angemessene Entschädigung der Betroffenen. Seither muss die Versicherung der Schiffseigner für sämtliche Schäden aufkommen.
In Spanien galt das nicht. Zehn Jahre mussten die Galizier dieses Mal auf ihr Geld warten. Und das “Nunca Máis – nie wieder!” blieb ein frommer Wunsch: Im November 2002 zerschellte wieder ein Tanker vor der Küste. Dieses Mal war es die “Prestige”. Wieder ein uralter Kahn. 63.000 Tonnen klebriges Schweröl spuckte sie ins Meer. Und wieder waren die galizischen Fischer die Leidtragenden.
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