травня
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Mit dem alten Europa wird kurzer Prozess gemacht
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Was sind Mondscheinsonate und Rachmaninow gegen einen Pistolenknall? Das fragt der kroatische Autor Miroslav Krleža, der 1893 in Österreich-Ungarn geboren wurde und 1981 Jugoslawien starb, freilich beide Male in Zagreb. Er fragt es, wenn man seine Stücke “Die Glembays”, “Galizien” und “In Agonie” so zusammenschneidet, wie es Martin Kušej, der Intendant des Münchner Residenztheaters, für einen siebenstündigen Gewaltakt bei den Wiener Festwochen getan hat. Wie Krleža trägt Kušej einen Hatschek im Namen, diesen typografischen Widerhaken, der daran erinnert, dass das lateinische Alphabet den slawischen Sprachen nur notdürftig übergestülpt ist, wie ihren Sprechern zuerst die k.u.k Monarchie, später der Kommunismus.
Dem Polizistensohn Krleža schien eine Offizierskarriere beschieden, Gymnasium, Kadettenanstalt, Militärakademie. 1912 liebäugelte er mit einer slawischen Sezession und versuchte, zu den Serben überzulaufen. Die hielten ihn für einen Spion und schickten ihn zurück. Auf der anderen Seite wollte man ihn nicht mehr. Fortan focht er seinen Kampf mit Bürgertum, Militär, Adel, Österreich und Kroatien auf dem Papier aus. Papierner wirkt es auch, das Stück “Die Glembays” von 1928, das den Abend im Wiener Volkstheater eröffnet.
Die Bühne ist eine Asservatenkammer aus 150 Jahren Lug und Trug, übersät mit Salonmöbeln, die eine zu Bankiers geadelte Bauernfamilie angehäuft hat. Die bevorzugte Freizeitbeschäftigung der Glembays ist der Selbstmord. Und auch ihr Geschäft ist der Tod; die Glembay-Bank investiert in Rüstungs- und Beerdigungsunternehmen.
Pünktlich zum 50. Firmenjubiläum kommt Sohn Leo aus dem Ausland zurück. Er ist ins Künstlertum geflohen, während sein Vater eine nymphomane Baronenwitwe geheiratet hat. Es gibt Aussprachen, Lebenslügen, Tennessee Williams in Zagreb. Die Sprache ist eine “Downton Abbey”-Parodie: “Die Baronin geruht, die Mondscheinsonate zu exekutieren.” Im Hintergrund klimpert leise Beethoven. Krležas Hass auf die Verlogenheit von Bürgertum und Kirche, sein Proto-Sozialismus – Tito war ein lebenslanger Fan – sind ja schön und gut, aber warum so geschwätzig? Kušejs vermeintliche Werktreue leistet da einen Bärendienst: Erst schlägt der Vater dem Sohn den Mund blutig, dann erklärt der Sohn, der Vater habe ihm den Mund blutig geschlagen. So muss der Theaterabend ja sieben Stunden dauern.
In dessen Mitte steckt das Stück “Galizien” wie ein Granatsplitter – das Surrogat von Krležas Weltkriegserfahrungen. Ein schwuler Oberleutnant (eiskalt: Norman Hacker) vergewaltigt ein Heer. Je höher der Rang, desto verlogener das Gerede von Würde, Integrität, Disziplin.
Wo eben die slawische Variante der “Katze auf dem heißen Blechdach” gegeben wurde, steht jetzt Horvat (Shenja Lacher) als Woyzeck im Ersten Weltkrieg. Seit Büchners Zeiten ist alles noch schlimmer geworden, er kriegt nicht mal Erbsen zu fressen, und eine Geliebte zum Ermorden hat er auch nicht. Abends muss er zu den feisten Feiglingen, die sich hinter ihren Orden verstecken, Rachmaninow spielen.
Doch was ist Rachmaninow gegen einen Pistolenknall? Der hat die durchschlagendere Wirkung und hallt länger nach. Zumindest bis in den dritten Teil des Abends. Baron Lenbach hat den Krieg zwar überlebt, ist aber trotzdem auf der Strecke geblieben: “Im heutigen Europa tragen nur mehr die Kavallerieoffiziere und die Zirkusaffen rote Hosen”, lautet die neue Parole.
Götz Schulte spielt den abgehalfterten Hallodri mit schneidender Selbstekelgrandezza. Immerhin erschießt er sich irgendwann, mehr aus Trotz denn aus Charakterfestigkeit. Er hinterlässt seine Frau Laura (Britta Hammelstein), allerdings nur für ein paar Minuten. Ihr Liebhaber (Markus Hering) kann sie nicht recht fürs verlogene bürgerliche Zeitalter erwärmen.
Wir hatten schon Tennessee Williams und Georg Büchner. Dieser Teil fühlt sich an wie ein mies gelaunter Arthur Schnitzler. Krleža hat mit dem alten Europa kurzen Prozess gemacht. Kušej und sein größtenteils überzeugendes Ensemble brauchen dazu etwas länger.
Termine: 1., 2., 8., 9. Juni München
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