Eine ferne Gegend im östlichen Europa, am äußersten Rand des Habsburgerreiches. Eine andere Welt. In Zagreb oder Galizien bestand sie damals aus Kadetten und Offizieren, aus Aristokratie und Großbürgertum. Eine Welt, die mit dem Ende der Monarchie unterging.

“Die Glembays” zeigt Dekadenz und Zerfall einer Bankiers-Dynastie kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Nach elf Jahren Abwesenheit kehrt Sohn Leo zurück, der Künstler ist, Maler, und den zynischen Aufklärer spielt. In der Familie hat es viele Tote und zu viele Selbstmorde gegeben. Leo wird von den anderen als “überspannter, nihilistischer Paranoiker” abgekanzelt, ist aber der einzig Hellsichtige im Stück. In dem es trotzdem kein Schwarz oder Weiß gibt, sondern Dialektik pur, weil alle amoralisch handeln oder schuldig werden. Selbst Leo lebt parasitär auf dem Morast, den er bekämpfen will.

Am Ende ist der Vater ein betrogener Betrüger und tot, die Baronin Schwiegermutter eine Nutte, die von Leo erstochen wird, und die reine Beatrice, die Schwesterntracht trägt, hat ein Verhältnis mit dem Kardinal. Rosamunde Pilcher und die Macher der britischen Fernsehserie “Downton Abbey” hätten ihre Freude an diesen kroatischen Buddenbrooks gehabt. Und an Manfred Zapatka, Sophie von Kessel und Johannes Zirner als souveräne Agenten des verlotterten Familiendreiecks.

Martin Kusej inszeniert die Erzähldramen Krlezas mit ruhiger Hand, was auch Längen beinhaltet, und in einfachen starken Bildern. Zeit- und Lokalkolorit scheinen nur in den Kostümen auf, das Bühnenbildkonzept von Annette Murschetz sieht drei Farben für die drei Dramen in drei Zeiten vor: ochsenblutrote hohe Wände und schwere Sitzmöbel für den Rauchsalon der “Glembays”, eine nachtschwarze dauerberegnete Bühne für “Galizien” während des Ersten Weltkriegs, eiskaltes Weiß für das Ehedrama “In Agonie”.

“Galizien” steht als Chiffre für die brutalen Gewalt-Exzesse im Ersten Weltkrieg. Kroatische Offiziere haben sich 1916 in einer zerstörten Schule eingerichtet, die tote Lehrerin lehnt noch in einer Ecke, Kinderleichen werden aus dem Weg geräumt. Kadett Horvat, Shenja Lacher als reflektierter Künstler und mentaler Aussteiger, trifft auf Oberleutnant Walter, der ihn zwingt, eine alte Frau aufzuhängen, die eine Baroness bespuckt haben soll. Norman Hacker liefert die schauspielerische Glanzleistung des Abends ab, als mal machtbewusst spielender, mal homoerotisch übergriffiger, mal nazihaft schnarrender Militär.
Auch in diesem Drama laufen Wertefragen mit. Es geht um Gleichgültigkeit und Mord im Krieg, um Resignation oder die Kraft, Nein zu sagen. Um ein Stück Würde in einer völlig irrational erscheinenden Welt. Horvat soll im Offizierskasino noch einmal Rachmaninow spielen. Die Lage eskaliert, das Stück endet in einem irren Showdown, bei dem jeder jeden erschießt – und der das Publikum nach einem düsteren Horrortrip ein Mal zum Lachen befreit.

Das dritte Stück dann entwickelt das Trauma des Kriegsheimkehrers, der sich nach dem Krieg nicht mehr in die Gesellschaft einfügen kann. Baron Lenbach spielt und säuft und bringt das Geld seiner Frau durch, die als Modistin hart dafür arbeitet. Auch hier geht es um ein Beziehungsdreieck: Der Advokat der Familie hat ein Verhältnis mit Lenbachs Frau, lässt sie nach dessen Selbstmord aber wortreich hängen. Britta Hammelstein als rehäugig sensible, aber auch vernunftbegabt emanzipierte Gattin füllt die kaltweiße, komplett leere Bühne manchmal nicht ganz. Götz Schulte und Markus Hering beeindrucken mit einer nackten Seelenschau verwundeter oder unterentwickelter Männer.

Der Österreicher Martin Kusej hat, ähnlich wie Peter Handke, slowenische Vorfahren aus Kärnten. Dass er jetzt mit den Dramen Krlezas dem Übervater der kroatischen Literatur wieder eine Bühne gibt, ist ihm hoch anzurechnen. Gleichzeitig soll das sechsstündige Epos aber auch ein Vorgriff auf den Beginn des ersten Weltkriegs vor demnächst 100 Jahren sein. Kusejs These lautet: Dieses traumatische Ereignis von Orientierungslosigkeit und Werteverlust wirkt als “Urschock” bis heute nach. Doch gerade diesbezüglich hat uns die handwerklich ordentliche Inszenierung nichts Neues zu sagen. Denn Krlezas Stücke sind eigentlich Künstlerdramen, die die Möglichkeit der Verweigerung von Individualisten gegenüber der beschämend dummen Gesellschaft ausloten. Oder mit ihren Psychodialogen Ibsen oder Strindberg nacheifern. Kusej zeigt uns das Weltkriegsdrama mitsamt den lebenden Untoten, die er hervorgebracht hat, macht daraus aber kein Kriegsheimkehrer-Stück von heute, sondern nur Salontragödchen. Was nachhallt, sind Krlezas große Fragen nach der Dialektik von Schuld. Großer Beifall und große Ermattung nach einem langen Theaterabend.

Comments

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.