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Alte Werte, neue Frauen
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Seelisch kriegsversehrt 1916 aus Galizien heimgekehrt in das bald von den Siegermächten konstruierte Königreich Jugoslawien, in Zagreb als linker Schriftsteller Chronist des Untergangs des Habsburgerreichs, als früher Freund Titos im kommunistischen Nachkriegs-Jugoslawien mit Ehren überhäufter Staatsdichter, im Westen von Sozialdemokraten und Eurokommunisten gefeierter Abweichler von Moskauer Literaturdoktrinen – weil immer auch dem Schönen verpflichtet und nicht nur dem Klassenkampf: Miroslav Krlea (1893-1981) analysierte die “Welt von gestern” (Stefan Zweig) mit den Ansprüchen von Karl Kraus, Musil, Broch.
Theater
In Agonie
Von Miroslav Krlea
Martin Kuej (Regie)
Wiener Festwochen/Volkstheater
Wh.: 25. und 26. Mai
Spezial: Dossier zu den Wiener Festwochen
Mit stetem Blick auf die Metropole Wien blieb der Kroate Krlea der österreichischen Literatur verbunden wie kein zweiter Südslawe. Ohne die Retro-Sehnsucht des Juden Joseph Roth und den Habsburger-Hass des Deutschnationalen Bruno Brehm. Für Krleas in Prosa und Drama hinterlassene Familienchronik “Die Glembays” passt, wie für die Endzeit der Doppelmonarchie, Hermann Brochs Befund “Wertevakuum”.
Familiäre “moral insanity”
Der Buchwert der Glembay-Privatbank sinkt synchron mit der “moral insanity” der Familie in satirischer Verdichtung ins Bodenlose: vertuschte Morde, Selbstmorde aus Verzweiflung zuhauf; Baron Glembay hält sich eine Dirne; als Hausherrin tut sie es mit dem Beichtvater und dem Stiefsohn; die Schwägerin in Nonnentracht beglückt einen Kardinal.
Seit den 60er Jahren versuchten Übersetzer (Milo Dor), Verlage (Stiasny, Sessler u. a.) und Theater (“Die Glembays” und “Leda” im Volkstheater1974)dieansprechendsten Krlea-Werke vor deutschsprachiges Publikum zu schmuggeln. Ohne Erfolg. Nun also Martin Kuej. Der Kärntner begann seinen Aufstieg in Slowenien und kennt die Milieus in der jüngsten jugoslawischen Umbruchszeit. Ein gewaltiger kulturpolitischer Paukenschlag also kurz vor dem EU-Beitritt Kroatiens. Als Koproduktion der Wiener Festwochen mit dem Münchner Residenztheater. Wird was bleiben?
Gewiss die kleine feine Kammertragödie “In Agonie”. Kuej wählte sie als Titel für seinen Sechs-Stunden-Abend. Die Militärs der kaiserlichen Armeen sackten 1922 in die Arbeitslosigkeit ab, verlieren Einkommen und Status. Die Krise des Mannes ist die Chance der Frau. Baronin Laura (Britta Hammelstein) ist erleichtert, als sich ihr zum Säufer verkommener Gatte (Götz Schulte) wegen Spielschulden erschießt. Doch ihr Langzeit-Hausfreund (Markus Hering) ist just bei einer Anderen. In einem hellweißen Kubus eingesperrt, fliegen Lauras Worthacken mit kalt-realistischem Schliff. Ein Vorschein der neuen emanzipierten Frau Ende der 20er Jahre. Noch siegt sie nur um den Preis ihres Lebens. Krlea ist vom Empiriokritizismus Ernst Machs beeinflusst, der alles Metaphysische ablehnt. Wie Musil, und darum moderner als Schnitzler.
Das Skelett spielt Ibsen
Die österreichische Moderne zieht ihre Spur auch in den viel üppigeren “Glembays”. Mit vielen Strichen sind sie auf 95 Minuten verkürzt und haben philosophisches Beiwerk sowie übertreibungskünstlerischen Witz verloren. Das Skelett spielt Tragödie nach Ibsen. Der verlorene Sohn (Johannes Zirner) kehrt als Rächer seiner Mutter wieder und pocht als Künstler auf seine Narrenfreiheit, allen Emotionen freien Lauf zu lassen. Dem mit rationaler und krimineller Energie gesegneten Vater (Manfred Zapatka) bricht er das Herz, die Stiefmutter (Sophie von Kessel) sticht er tot. Den tiefen Bühnenraum (Annette Murschetz), mit einem einzigen Familiengemälde an der Hinterwand, füllen zu viele Sitzgarnituren. Aufmarschverhau für das perfekte Münchner Ensemble. “Die Glembay” vertrügen einen Soloabend mit mehr Text und realistischer Detailmalerei in rasendem Tempo.
Das Zwischenstück der Trilogie heißt “Galizien”. Kusej inszenierte es als sentimental-groteske Antikriegsklamotte. Hinrichtungsszenen und Radau im Offizierskasino führte Karl Kraus besser vor – und erschreckender wegen der österreichischen Monturen und Tonfärbung. Das als Kroatenlager entworfene Frontquartier 1916 in einem Schulhaus füllen hier Deutsche in Stiefeln. Wieder ist ein Braver, Anständiger, Menschlicher dabei: Kadett Horvath (Shenja Lacher). Den Showdown wie in einem Italo-Western hat, man möchte es nicht glauben, der Dichter erfunden. Jeder schießt jeden tot. Um 0.15 Uhr.
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