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Mondnacht in Galizien
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An den altösterreichischen Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch erinnert heute noch der Begriff “Masochismus”. Den prägte allerdings der Psychiater Richard von Krafft-Ebing ihn Anlehnung an Sacher-Masochs Novelle “Venus im Pelz”.
Vergebens wehrte sich der Autor zeitlebens gegen diese Vereinnahmung, ging es ihm doch darum, das Verhältnis von Mann und Frau ins rechte Licht einer gleichberechtigten Partnerschaft zu rücken.
Das umfassende erzählerische Werk Sacher-Masochs, das oftmals am äußersten Rand der Donaumonarchie, in Galizien angesiedelt ist, kennt kaum einer mehr. Doch völlig zu Unrecht ist dieser Autor in Vergessenheit geraten, wie die eben neu aufgelegte Novelle “Mondnacht in Galizien” beweist. Erstmals 1875 veröffentlicht, nimmt sie die Welt aus Traum und Wirklichkeit, aus Liebe, Sehnsucht und Tod ins Visier.
Beethovens “Mondscheinsonate”
Der Ich-Erzähler hat sich mit seinem Jagdhund im weitläufigen Gebirge der Karpaten verirrt. Beim Abstieg entdeckt er einen nahegelegenen Gutshof. Gott sei Dank, denn schon bricht die Nacht an. Während er auf das Gebäude zugeht, vernimmt er ein Klavierspiel – einen “wunderbaren Ton.”
Als ich näher kam, entfaltete er sich in schwermütiger Schönheit. Es war ein gutes Piano, und eine geübte feine Hand spielte die “Mondscheinsonate” von Beethoven. Mir war es, als werfe eine wunde Menschenseele ihre Tränen auf die Tasten. Eine verzweifelte Dissonanz – dann schwieg das Instrument.
Der Gutsherr und seine Frau empfangen den Erzähler gastlich, ihm wird ein Zimmer zur Nachtruhe zugewiesen. Während der Mond in die Kammer scheint, holt ihn die Müdigkeit ein und sanft scheint er ins Land des Traumes zu gleiten. Doch seltsame, unheimliche Geräusche wie von schleppenden Gewändern lassen den Erzähler halb wach werden und plötzlich steht die Gutsherrin mit aufgelöstem schwarzem Haar und im weißen Nachtkleid vor ihm im Zimmer.
Geboren, um den Männern zu gefallen
Was ist hier Traum, was Wirklichkeit? Diese Frage wird umso dringlicher als die Frau mit somnambuler Stimme zu sprechen, ja, ihre Lebens- und Leidensgeschichte dem Fremden zu erzählen beginnt. Aus wohlhabendem Haus stammend sei sie schon als Jugendliche wegen ihrer Schönheit aufgefallen. Seit sie denken kann, war es eine klare und ausgemachte Sache gewesen, sie standesgemäß zu verheiraten. Die Tür zum goldenen Käfig stand weit offen. Was sie dafür zu tun hatte? Nicht viel. Ein wenig Konversation und Französisch lernen, sich kokett bewegen, und gut Klavier spielen – denn Männern gefällt es, wenn zarte Frauenhände gekonnt übers Klavier gleiten.
Sie braucht auch nichts zu lernen, sie lernt schön sein; was braucht sie mehr?
Doch diese Frau, die wie im Schlaf spricht und sich Olga nennt, hat die Erfahrung leidvoller Ehe bereits hinter sich. Daher erkennt sie eines: Ihre Erziehung, die dazu diente, Objekt männlicher Begierde und Objekt männlichen Besitzstatus’ zu sein, ist heillos veraltet. Denn der Mann ist nicht mehr Jäger und Krieger, sondern hält den Schlüssel für Wissenschaft und Künste in Händen, reformiert die Politik, hat begriffen, dass archaische Lehensverhältnisse und das bloße Betreiben von Agrarwirtschaft nicht mehr in Gegenwart und Zukunft passen. Und da soll noch die Frau bleiben, was sie immer schon war? Nein, sagt Olga und sagt, dass hier Änderung Not tut.
Aufgeschlossen, aber nur zum Teil
Man muss das Weib erziehen wie den Mann, dann wird es eine Gefährtin des Mannes sein.
Für Olga kommt diese Erkenntnis zu spät. Mihael, ein benachbarter Gutsbesitzer, hat sie gefreit und als Ehefrau heimgeführt. Obwohl er studiert, lange Zeit im Ausland verbracht hat, obgleich er politisch aufgeschlossen ist und nach Reformen strebt, ist sein Verhältnis der Ehefrau gegenüber zur Gänze traditionell: Sie soll Teil der männlichen Repräsentationswelt und Garantin der Nachkommenschaft sein. Hält sie sich an die Rolle, so wird es ihr an materiellen Dingen nicht mangeln.
Olga gehorcht, wird mehrfach Mutter, gefällt sich sogar in der Rolle der allseits bewunderten Schönheit. – Sie betrügt ihren Mann zwar nicht, aber sie spielt mit der Gunst der Männer und merkt dabei nicht, dass sie dadurch erst recht ihr vorgegebenes Rollenspiel erfüllt!
Siegeszug des eingelernten Rollenverhaltens
Doch dann tritt Wladimir in Olgas Leben. Wie ihr Mann ist Wladimir in wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten liberal gesinnt. So werden die beiden Gutsbesitzer Freunde. Doch im Gegensatz zu Mihael sucht Wladimir die aktive, denkende und handelnde Frau. Er ermuntert Olga zur selbstständigen Tätigkeit, etwa indem sie die Haus- und Gutsverwaltung mit übernimmt.
Olga blüht auf, agiert, hat Erfolg, doch ihre eingeübte Rolle wird sie nicht wirklich los. Perfide und zugleich einfühlsam zeigt der Autor Sacher-Masoch, dass diese Frau ein Ziel verfolgt: die bedingungslose Unterwerfung des Mannes im Angesicht weiblicher Schönheit. Bei Ihrem Klavierspiel der “Mondscheinsonate” kommen sich Olga und Wladimir näher.
Alle Zauber der Mondnacht strömten über sie und ihn, tiefe Schatten sanken auf sie herab, ein magisches, zitterndes, wehmütiges Licht, und ihre Seelen schwangen mit in der dämmernden schmerzlichen Melodie.
Doch Olga, dieser Vamp wider Willen, will mehr, eben nicht nur die “Seele” ihres geliebten Wladimir. Und er, der die emanzipierte, freie, gleichberechtigte Frau propagiert, muss etwas Bestimmtes opfern, um wirklich Geliebter zu werden.
Der schöne Satan war aber mit seiner Seele nicht zufrieden. “Du sollst deinen Verstand verlieren”, flüsterte sie, “dann sind wir gleich!”
So hat es Olga gelernt, so handelt sie instinktiv: Der Verstand sei die Domäne des Mannes, doch im Reich der Sinne, der ekstatischen Liebe erweist sich die Frau als Siegesgöttin.
Vorprogrammiertes Verhängnis
Ab jetzt kennt die Begierde der beiden Liebenden keine Grenzen, sie werden hemmungslos und auch unvorsichtig. Als Wladimir zu Besuch auf den Gutshof von Mihael und Olga kommt und beide in jener Kammer, die nun der Erzähler der Novelle als Schlafstatt zugewiesen bekommen hat, sich zur Liebesnacht treffen, werden sie von Mihael überrascht. Es kommt, wie es kommen muss: Der gehörnte Ehemann fordert den Liebhaber zum Duell. Mihael erschießt Wladimir. Möglicherweise sucht auch Wladimir den Tod, weil er mit der rasenden und zugleich verbotenen Liebe zu Olga nicht länger zurecht kommt. Olga bleibt bei ihrem Mann, nimmt den vorgegebenen Rollenplatz wieder ein. Nur des Nachts schleicht sie wie ein Gespenst in jene Kammer, in der sie einst ihren Geliebten traf und damit leichtsinnig dessen Tod heraufbeschworen hat.
Leopold von Sacher-Masochs Novelle “Mondnacht in Galizien” ist rund 100 Seiten lang. Andere Schriftsteller von Format hätten aus diesem Stoff einen Roman gezimmert. Doch genau in dieser konzisen Kurzform des Erzählten wirkt jeder Absatz, ja, fast jeder Satz wie ein Konzentrat für die Schilderung menschlicher Sehnsucht und Verfehlung. Das Korsett des vorgegebenen Rollenverhaltens scheint auf den ersten Blick veraltet, doch zwischen diesem Schein blickt immer wieder ein Sein hervor, das zeigt, wie einzelne Facetten geschlechtlicher Bezüglichkeit noch lange nicht ad acta zu legen sind. Das Duell zwischen Verstandesrealität und sinnlicher, ekstatisch-träumerischer Wirklichkeitserfahrung ist noch nicht ausgefochten.
Eines ist aber sicher: Mit “Mondnacht in Galizien” hat Leopold von Sacher-Masoch als psychologisch versierter, mit Traum und Wirklichkeit gekonnt jonglierender Erzähler aufs Parkett der Weltliteratur zurückgefunden.
Text:
Andreas Puff-Trojan
·
31.03.2013
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