Thomas Langhoff: “Hier aber, in gezähmten drei Stunden, werden gute Menschen schlecht, arme Menschen reich, junge Menschen alt, den Schlechten wird heimgezahlt, die Guten werden belohnt. Diese Gerechtigkeit, dieser Ausgleich! Dieses kluge Gespräch, dieses herrliche Leben, ja, sogar das Sterben ist hier wunderschön. Das ist die Welt, wo ich hingehöre.”

Der kürzlich verstorbene Theaterregisseur Thomas Langhoff liest aus dem Tagebuch Alexander Granachs vor. Ein Eintrag, den Granach 1905 schrieb, nachdem er erstmals ein Theater besucht hatte, in Lemberg, der Hauptstadt Galiziens. Fortan wollte er Schauspieler werden: 1906 geht er nach Berlin, arbeitet als Bäcker, lernt Deutsch, spielt in einem Amateurtheater und studiert Schauspiel bei Max Reinhardt. Sein Sohn Gad Granach erinnert sich, mit welch ungeheurem Willen er sein Ziel verfolgte.

Gad Granach: “Vater auf der Bühne war eine Urgewalt. Er war nicht zu halten, er war nicht zu bremsen. Er schrie alles raus.”

Alexander Granach: “Da fluche ich den Weibern und reichen Halunken. Und mische Teufelskraut in den Wein. Und habe mir den Tode schmollig getrunken, der sprach …”

Die Filmemacherin Angelika Wittlich zeichnet Granachs Weg nach, beziehungsweise sie lässt ihn schildern: von Theaterexperten und Historikern, Schriftstellern, Nachbarn und natürlich von seinem Sohn Gad.

Angelika Wittlich: “Ich habe Gad Granach kennen gelernt an seinem 92. Geburtstag in Jerusalem und habe einen Menschen kennen gelernt, der von so einer überwältigenden Vitalität war. Und er hatte ein phänomenales Gedächtnis.”

Die Berichte, Einschätzungen und Erinnerungen der Protagonisten hat die Filmemacherin zu einem vielseitigen Portrait geformt, das Privates, Künstlerisches und Weltanschauung miteinander verbindet. Und besonders die Bilder aus Galizien, die Thomas Langhoff ergänzt, geben ein Gefühl für Granachs Heimat.

Thomas Langhoff: “Da, wo der Granach her kommt, das ist ja auch ein ungeheures Kraftfeld gewesen. Man spürte diese ost-jüdische Energie, diese Urwüchsigkeit seiner Herkunft. Dass er die nicht verleugnet hat, das ist auch das Merkmal eines großen Schauspielers.”

Im Berlin der 20er-Jahre avanciert Alexander Granach zum Star. Unter Erwin Piscator spielt er am Berliner Theater, unter Leopold Jessner am Preußischen Staatstheater und in Murnaus Stummfilmklassier “Nosferatu” verewigt er sich als Häusermakler.

Aber es ist nicht nur Granachs Energie, die seine Karriere beflügelt. Granach ist auch ein extrem wandlungsfähiger Künstler, das macht der Film deutlich. Und dass Granach Charaktere ganz unterschiedlich interpretieren kann: Mephisto zum Beispiel spielt er als wohlwollendes Teufelchen und in Shakespeares Komödie “Der Kaufmann von Vendig” mimt er den jüdischen Geldverleiher Shylock fernab von Rachsucht.

Gad Granach: “Wenn Werner Kraus spielte Shylock, kamst du aus dem Theater raus als Antisemit. Wenn mein Vater spielte Shylock, dann kamst du aus dem Theater und fühltest die Tragödie des jüdischen Volkes.”

Geschickt hat Angelika Wittlich in ihren Film die Briefe von Alexander Granach eingewoben, die er an seine große Liebe schrieb, die Schweizer Schauspielerin Lotte Lieven. Juliane Köhler und Samuel Finzi lesen aus diesen Briefen vor und geben dem Film so ein emotionales Zentrum: Zeugnisse voller Sehnsucht und Lebensfreude, zum Beispiel als Granach 1935 das Deutsche Reich verlässt und nach Moskau emigriert.

Alexander Granach: “Meine liebe gute Lotte! Der erste Eindruck vom Leben und Treiben, von der Arbeit, vom Tempo ist grandios. / Man fühlt die neue Welt. Bin vom Glück überwältigt. Und ein Mensch mit Kraft, mit Vitalität, mit Gläubigkeit, mit Phantasie, kann sich hier künstlerisch, menschlich so ausleben wie nirgends.”

Doch zwei Jahre später muss er vor den “Säuberungen” Stalins in die USA fliehen. In Hollywood gelingt ihm ein Traumstart: Unter der Regie von Ernst Lubitsch spielt er an der Seite von Greta Garbo in “Ninotschka” – einen russischen Gesandten, der in Paris Gefallen am kapitalistischen Leben findet.

Szene aus “Ninotschka”: “You didn’t get legal advice? / We’ve don’t do act for the representative of the grand duchess. I am sure if you call him, he will give you a very clear picture.”

Aufschlussreich und melancholisch zugleich sind die Auszüge aus den Liebesbriefen gelungen – eine große Liebe, die doch weitgehend unerfüllt blieb. Denn Lotte Lieven blieb in der Schweiz, wie Angelika Wittlich betont:

“Sie war eine mittlere Schauspielerin. Sie konnte nicht hoffen, in Amerika Karriere zu machen. Sie wusste, dass Granach immer wieder Frauengeschichten hatte. Also ich meine: In Amerika ohne Arbeit auf Granach angewiesen zu sein, das war, bei aller Liebe, vielleicht doch eine schwierige Sache.”

Angelika Wittlich erzählt Granachs Leben in seiner ganzen Vielseitigkeit. Wobei der Film dadurch auch seine Stringenz verliert. Dennoch wird klar, dass sich Granach, wo immer er auftauchte, wie magisch die Türen öffneten.

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