Nov
23
Wer sich von Madrid lossagen will, bringt ganz Spanien ins Wanken
Kommentar von Ulrike Fokken
Die katalanischen Sektkellereien fürchten das Schlimmste. Die Kastilier, Andalusier, Asturier, kurz gesagt, „die Spanier“ könnten zu Weihnachten wieder zum Boykott des katalanischen Cava-Sektes aufrufen. Die Andalusier haben schon vor Jahren propagiert, mit andalusischem Manzanilla-Sherry anzustoßen und nicht mit den Produkten aus Katalonien. Und da mittlerweile auch Weinkellereien in spanischen Regionen Schaumwein herstellen, sind die Spanier nicht mehr auf katalanischen Cava angewiesen.
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Wenn ihr nicht mit uns leben wollt, wollen wir nicht mit euch feiern, heißt die einfache Botschaft der Spanier in Richtung Katalonien. Seitdem der dortige Ministerpräsident Artur Mas Katalonien als „einen neuen Staat in Europa“ fordert, wird die mögliche Sezession in Spanien fast wütender diskutiert als die Eurokrise.
Am 25. November will sich Mas für seine Pläne eine Mehrheit bei vorgezogenen Regionalwahlen holen, innerhalb der nächsten Legislaturperiode soll ein Referendum über die Unabhängigkeit abgehalten werden. Eine katalanische Sezession träfe das Selbstverständnis einer parlamentarischen Erbmonarchie, die in der Verfassung die „unauflösliche Einheit der spanischen Nation“ festgeschrieben hat.
Ulrike Fokken hat unter anderem in Granada studiert. Sie schätzt das Anarchische des Südens und die Klarheit Kataloniens und hat darüber die „Literarischen Streifzüge Barcelona“ (2007) geschrieben, die 2013 neu herauskommen.
Wer sich also von Madrid lossagen will, verlässt den Königshof und bringt die Konstruktion Spaniens aus 17 Autonomen Regionen ins Wanken. Artur Mas vermeidet zwar das Wort Unabhängigkeit und behauptet, es gehe ihm „nicht um Separation, sondern um Emanzipation“. Aber diese Verschwurbeleien dürften ihm dazu dienen, sich eine politische Hintertür für das wahrscheinliche Scheitern der nationalen Unabhängigkeit offen zu halten.
Die konservative Regierung von Mariano Rajoy in Madrid wehrt das katalanische Aufbegehren wie üblich beleidigt ab, ohne darin Chancen für eine Modernisierung des Staates zu sehen. Auch die Basken wollen seit Jahrzehnten die Unabhängigkeit, ebenso pochen in Galizien Nationalisten auf Eigenständigkeit.
Der Zug ist abgefahren
In einem vereinten Europa ist das natürlich alles recht anachronistisch, doch die durchaus brutale Herrschaft in Madrid in den vergangenen Jahrhunderten hat tief sitzende Traumata verursacht. In der jetzigen Wirtschaftskrise, die in ihrem depressiven Ausmaß mit den „Jahren des Hungers“ nach Ende des Bürgerkriegs bis in die 1950er Jahre verglichen werden kann, schmerzen die alten Wunden umso mehr.
Die Katalanen sind seit Jahren Nettozahler unter den Regionen: Sie schicken mehr Geld nach Madrid, als sie zurückbekommen. Zudem fühlen sich die wirtschaftlich erfolgreichen Katalanen von Madrid behindert. Zu Recht: Schon die Vorgängerregierung unter dem Sozialisten José Zapatero verhinderte, dass die katalanischen Häfen Barcelona und Tarragona an das staatlich finanzierte europäische Infrastrukturnetz angebunden wurden.
Dennoch ist gerade aus wirtschaftlichen Gründen der Zug für eine Unabhängigkeit Kataloniens längst abgefahren. Die Vorstände der katalanischen Banken haben kein Interesse an der Sezession. Sie machen einen Großteil ihrer Geschäfte außerhalb der Region auf iberischem Grund und das selbstverständlich in Euro. Da Katalonien nach der Unabhängigkeit weder Mitglied der EU wäre noch zur Gemeinschaft der Euroländer gehören würde, müssten sie ihre Geschäfte massiv zurückfahren.
Das gilt vor allem für die Maschinenbau- und die Chemieindustrie, den Autokonzern Seat und andere große Unternehmen, die Katalanen aufgebaut haben. José Manuel Lara, Verleger der in Spanien führenden Verlagsgruppe Planeta mit Sitz in Barcelona, drohte bereits, sein Unternehmen nach Saragossa oder Madrid zu verlegen. Schließlich könne er keine spanischen Bücher in einem Land machen, in dem nicht Spanisch gesprochen wird.
Die Sprache als Ausdruck von Identität und Selbstbestimmung hat in dem 300-jährigen Konflikt zwischen Katalonien und Kastilien immer eine zentrale Bedeutung gehabt. Der konservative Bildungsminister in Madrid, José Ignacio Wert, kündigte vor kurzem eine Bildungsreform zur „Hispanisierung der katalanischen Schüler“ an, was in Katalonien selbstverständlich als weiterer Beweis für die koloniale Haltung in Madrid gesehen wird.
Tatsache ist, dass der Unterricht in Katalonien auf Katalanisch abgehalten wird und die Schüler Castellano (Spanisch) als Fremdsprache lernen. Die katalanische Sprachpolitik sieht auch vor, dass die Verwaltung ausschließlich katalanischsprechende Menschen einstellt, obwohl Katalonien offiziell zweisprachig ist. Die Sprachautonomie als Teil der politischen Autonomie hat daher zu einer Entfremdung der Katalanen und Spanier geführt, da sie buchstäblich nicht mehr dieselbe Sprache sprechen.
Zwergstaat Katalonien
Die ständig verletzten Gefühle, der ewige Streit zwischen Katalanen und Spaniern, ist zermürbend. Eigentlich möchte man beiden raten, sich zu trennen, damit endlich Schluss mit dem Genöle ist. Aber die Trennung wäre schmerzhafter als die gütliche Einigung. Die Katalanen würden feststellen, dass sie nur ein Zwergstaat ohne Ressourcen außerhalb der EU wären, die sich in der Eurokrise zunächst mal um ihre jetzigen Mitglieder kümmern muss. Spanien verlöre nach einer Trennung eines seiner wenigen Industriegebiete, wichtige Banken, den FC Barcelona und einen Teil der kurzen demokratischen Geschichte Spaniens.
Schon vor dem Bürgerkrieg gingen die entscheidenden Impulse für eine Demokratisierung Spaniens von Barcelona aus. Damals zerschlug General Franco die beginnende Modernisierung Spaniens. Heute haben die Spanier dank Kataloniens Unruhe eine zweite Gelegenheit, friedlich Staat und Gesellschaft zu modernisieren und die Frage zu beantworten, welche Rolle Spanien im 21. Jahrhundert spielen will.
Die Rolle als Großmacht ist passé, als Industrienation fragwürdig, als Gestalter Europas aufgrund der Eurokrise erst mal gestrichen. Der staatliche Identitätsverlust schmerzt die kastilischen Nationalisten der regierenden Partei von Mariano Rajoy natürlich. Bei der Selbstfindung können die intellektuellen Impulse des katalanischen Rufs nach Unabhängigkeit daher nur helfen.
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