© Deutsche Nationalbibliothek

Genießen Gemütlichkeit, Kaffee und Zigarette: Joseph -Roth (Mitte) und Soma Morgenstern (rechts), mit einem Besucher.

Er nannte es „Schwänzchen“: sein ungeliebtes Kürzel in der „Frankfurter Zeitung“. Soma Morgenstern schrieb seine Rezensionen über Musik und Architektur aus Wien „unter dem Strich“, für das Feuilleton also. Wie sein Kollege und Freund Joseph Roth, der mit seinen kulturpolitischen Artikeln auch „über dem Strich“, also in der politischen Redaktion, reüssieren wollte, was ihm aber verwehrt blieb. „Ich werde durch die F.Z. geradezu unterdrückt. In jedem anderen Blatt stünde ich oben und unten“, beklagte er sich 1928 in einem Brief an den Feuilletonchef Benno Reifenberg. „Man muss ihn halten und stärken, nicht vor den Kopf stoßen“, setzte er sich in demselben Brief für Morgenstern ein. Als Roth im Sommer 1939 im Pariser Exil starb, stand eine „Nachrede“ von Stefan Zweig in einer österreichischen Exilzeitung, kein Nachruf aber bei den einstigen Frankfurter Brotgebern.

Die Arbeit der beiden jüdischen Schriftsteller Soma Morgenstern und Joseph Roth für die „Frankfurter Zeitung“ bildet einen Schwerpunkt in der Ausstellung des Deutschen Exilarchivs, die unter dem Titel „So wurde ihnen die Flucht zur Heimat“ bis zum 19. Januar in der Deutschen Nationalbibliothek zu sehen ist. Heinz Lunzer, ehemaliger Leiter der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, und seine Frau Victoria Lunzer-Talos haben als Kuratoren Handschriften, Tagebücher, Briefe, Zeitungen, Bücher und Grafiken zusammengetragen, um Leben und Werk der beiden Autoren im Schatten von Verfolgung und Emigration zu dokumentieren.

Er übersetzte aber lieber Theaterstücke 

Beide Autoren sind im östlichen Galizien geboren: Roth in Brody, Morgenstern in Budzanów, wie eine Karte, flankiert von den Viten, zu Beginn der Ausstellung zeigt. Beide kämpften im Ersten Weltkrieg, wovon eine Offizierskappe in einer Vitrine zeugt. Beide mussten Galizien nach dem Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie verlassen. Beide studierten in Lemberg und Wien, wo sie sich kennenlernten. Beide korrespondierten für die „Frankfurter Zeitung“, Roth von 1924 bis 1932, Morgenstern von 1928 bis 1934. Beide flohen vor den Nazis nach Paris, der hellsichtige Roth schon 1933, Morgenstern erst 1938. An der Seine wohnten sie zeitweise im selben Hotel und verkehrten als Habitués im Café Le Tournon. Roth starb unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, Morgenstern gelang 1941 die Flucht nach Amerika.

Von Anfang an war Roth auf das Schreiben fixiert, Morgenstern war Jurist, übersetzte aber lieber Theaterstücke und tauschte sich als Musikkenner mit dem Komponisten Alban Berg aus. Roth hinterließ berühmte Romane wie „Hiob“, das Lieblingsbuch der Schauspielerin Marlene Dietrich, und den „Radetzkymarsch“, der 1932 als Fortsetzungsroman in der „Frankfurter Zeitung“ vorabgedruckt wurde. Morgensterns Prosa ist kaum bekannt. Zu ihr zählen die Trilogie „Funken im Abgrund“, deren erster Teil 1935 unter dem Titel „Der Sohn des verlorenen Sohns“ erschien, und der Roman „Die Blutsäule“, mit dem er 1955 den ermordeten Juden Europas ein Denkmal setzte. Seine Mutter und seine Schwester Inge wurden in Theresienstadt und Auschwitz ermordet. „Küsse, Mutter“ ist als letzter Gruß über einem von der Schwester verfassten Brief zu lesen.

Schon in Paris war ein Versuch der Flüchtlinge, einen Exilverlag zu gründen, am Widerstand Thomas Manns und Stefan Zweigs sowie ihrer Verlage S. Fischer und Insel gescheitert, denen nicht an einem solchen Unternehmen gelegen war. Auch nach dem Krieg gelang es Morgenstern nicht, für seine ins Englische übersetzten Bücher einen deutschen Verlag zu finden. Er starb 1976 in New York und hinterließ einen Sohn namens Dan, der sich einen Namen als Jazz-Professor gemacht hat. Erst zwischen 1994 und 2001 erschien Morgensterns Gesamtwerk in elf Bänden beim Verlag zu Klampen in deutscher Sprache. Dank der Wiener Kuratoren wird sein Nachlass, den die Deutsche Nationalbibliothek hütet, nun endlich entsprechend gewürdigt, werden die erschütternden Zeugnisse seines Lebens der Nachwelt zugänglich gemacht.

Die Ausstellung in der Deutschen Nationalbibliothek ist bis zum 19. Januar zu sehen und montags bis donnerstags von 12 bis 20, freitags von 12 bis 18 und samstags von 12 bis 17 Uhr geöffnet.


Quelle: F.A.Z.

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Soma Morgenstern und Joseph Roth: Über und unter dem Strich

Soma Morgenstern und Joseph Roth

Über und unter dem Strich


Von Claudia Schülke, Frankfurt

In Frankfurt zeigt die Deutsche Nationalbibliothek eine Ausstellung über Soma Morgenstern und Joseph Roth.

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