Nov
17
Mit Schirm, Charme und ohne Melone
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Es nieselt, es gießt, es schüttet. Die Wolken hängen tief. Der Wind spielt mit Schirmen und Hüten, schleudert sie in die Luft, fängt sie wieder auf und setzt sie irgendwo ab. Wolken und Regen im Frühjahr, im Sommer, im Herbst und Winter verheißt ein Poster, das man in Santiago di Compostella überall zu kaufen bekommt. Das soll wohl die pitschnassen Pilger trösten. Für Regenschirme gibt es in Hotelhallen und Tourismusbüros sogenannte “Embolsadores de Paraguas”. In diese steckt man den tropfenden Schirm hinein und erhält ihn mit einem “Verhüterli” überzogen wieder zurück. So tropft nichts mehr.
Doch genug vom Wetter. Wir starten unsere Erkundungstour auf der Isla de la Toja, die jedoch außer Villen, hinter hohen Mauern gut vor neugierigen Blicken abgeschirmt, nicht viel zu bieten hat. Ein Kirchlein, dessen Fassade ganz mit Muscheln bedeckt ist, ist das Kulturhighlight. Apropos Muscheln! Davon gibt es dank der tief ins Land greifenden Meeresbuchten, den sogenannten “Rias Baixas”, geradezu eine Unmenge. An die 250.000 Tonnen werden hier jährlich kultiviert und geerntet. Besonders gut gedeiht die Miesmuschel, aber auch Austern mögen dieses an Plankton reiche Gewässer. In dem Ort Grove werden täglich Unmengen von Meeresgetier versteigert. Den Namen der toten Fische, die uns mit traurigen Augen anstarren, verstehen wir nicht. Umso interessanter sind die Gesichter der Fischer, die das harte Leben auf dem Meer gekennzeichnet hat.
Der genau richtige Wein für die Muscheln heißt Albarino und wächst reichlich in der Umgebung, so zum Beispiel auf dem renommierten Weingut “Pazo Baion”. Auf weich geschwungenen Hügeln steht eine Märchenburg, umgeben von einem 30 Hektar großen Weingarten. Hier gedeiht der Edelalbarino “Pazo Baion”. In ihm vereinen sich die Düfte des Landes: Orangen, Zitronen und Jasmin. Ein Glas davon – und das trübe Wetter ist vergessen.
Steinerne Vergangenheit
Die Fahrt an der Küste entlang zwischen Grove und Combarro liefert uns ganz disparate Eindrücke: Da stehen Hotelklötze der Sechzigerjahre neben kleinen Steinhäusern, wo man noch die Kelten vermuten könnte. Riesige bemooste Granitblöcke erinnern an unser Waldviertel. Das Meer gibt sich wild, grau und unnahbar, die Rias Baixas sind verschlammt und unansehnlich. Das alles entbehrt dennoch nicht eines gewissen Reizes. Das ist keine für Touristen schöngefärbte Landschaft. Das Fischerdorf Combarro bemüht sich um einen gewissen Souvenircharme: Hexen und Schnäpse sollen uns in die leeren Tavernen locken. Hin und wieder bleibt Zeit, um die “horreos” zu fotografieren. Das sind Speicher für Fisch und Reis. Wie große, steinerne Vogelhäuser auf vier Stelzen stehend, auf dem Giebeldach ein Kreuz, das Unglück abwehren soll, erinnern sie ein wenig an die berühmten Reisspeicher von Sulawesi in Indonesien. Wäre nicht die Wäsche, die zwischen Speichern zum Trocknen aufgehängt ist, würden wir meinen, das Dorf sei ausgestorben.
© Alan Copson/JAI/Corbis
© Alan Copson/JAI/Corbis
Große Stille und fast meditative Einsamkeit umfangen das Kloster Armenteira, in dem noch fünf Zisterziensernonnen wohnen, die aber unsichtbar und unhörbar bleiben. Die wuchtigen Mauern aus dem Mittelalter, jedem Dekor als gotteslästerlich abhold, sind in dichte Nebelschwaden eingehüllt. Wir verstummen ehrfürchtig und meinen etwas von der Härte dieses Klosterlebens zu erahnen.
Pontevedra oder Santiago de Compostella
Die Altstadt von Pontevedra gehört zu den schönsten in Galizien. Weil sie im Ruhmesschatten von Santiago de Compostella steht, sehen wir nur Einheimische. Und auch die kaum auf den Straßen, eher in den kleinen Tavernen, wo sie sich gegen das graue Wetter mit Schnaps und Tapas stärken.
Hin und wieder wandert ein Schirm über die weiten Plätze, die von edlen Palästen im französischen Stil und Barockkirchen eingerahmt werden. Pontevedras Charme ergibt sich aus den vielen Plätzen, einmal weit, offen, elegant, wie in Paris oder Nizza, dann klein, heimelig, mit alten Brunnen und mittelalterlichen Kreuzen in der Mitte, am Rande geduckte Arkadenbögen.
Sie tragen Namen, die auf ihre Funktion im Mittelalter hinweisen: Praza da Lena – hier wurde Bennholz – lena – verkauft. Auf der Praza de Verduras wurden Obst und Gemüse feilgeboten. Auf dem Eisenmarkt steht der bedeutende spanische Dramatiker Ramón Maria del Valle-Inclan (1866-1936) und schaut aus seinen runden Brillen unbeeindruckt in den Regen. Kaum hört es für ein paar Minuten zu regnen auf, schon sitzen wir auf der Praza da Peregrina, schlürfen einen Albarino und bewundern die Fassade der Iglesia de la Peregrina. Diese Kirche ist der Maria Mutter Gottes als Pilgerin gewidmet. Sie schaut auf uns herunter, mit Pilgerstab, Pilgerhut und Pilgermantel ausgerüstet. Eigenartige Idee – Maria als Pilgerin?
Oder wollten die schlauen Erbauer der Kirche dem damals schon boomenden Santiago de Compostela Konkurrenz machen und auch ein wenig am Pilgerstrom partizipieren? Wie es den Anschein hat, hat es nicht funktioniert. Denn alle Pilger – auch uns, die wir nicht pilgern – zieht es nach Santiago.
© © Radius Images/Corbis
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