Mit der Ankündigung von Ministerpräsident Artur Mas, am 25. November vorgezogene Neuwahlen in Katalonien anzusetzen, spitzen sich die politischen Probleme Spaniens weiter zu.

Bereits am 21. Oktober wird es vorgezogene Neuwahlen in Galizien geben, der Heimatregion des spanischen Regierungschefs Mariano Rajoy. Seinem Partido Popular droht dort der Verlust der absoluten Mehrheit und ein Regierungswechsel. Am gleichen Tag wählen die Basken, und dort spricht gegenwärtig manches dafür, dass die baskischen Nationalisten linker und rechter Couleur die vom PP geduldete Minderheitsregierung des PSOE, der spanischen Sozialisten, aus ihren Äm-tern vertreiben werden.

Die letzten Wahlen zum Parlament der Autonomen Region Katalonien fanden am 28. November 2010 statt, verbunden mit starken Verlusten der regierenden Sozialisten und Stimmengewinnen für Convergencia i Unio, einem Parteienbündnis, das 1978 aus Convergencia Democratica de Catalunya, einem Mitglied der Europäischen Liberalen, und der Unió de Democràtica de Catalunya, Mitglied der EVP, hervorgegangen war und Katalonien zwischen 1980 und 2003 politisch dominierte.

Mit behutsamer Unterstützung des Partido Popular hatte sich Artur Mas in den letzten beiden Jahren auf den Weg gemacht, Katalonien wieder zu alter Stärke zurückzuführen, die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen (21,9% im Vergleich zu 24,6% im ganzen Land) und die dramatische Verschuldung von 44 Mrd. (20% des BIP) abzubauen, mit der Katalonien sowohl in relativen, als auch absoluten Zahlen an der Spitze der Verschuldung aller spanischen Regionen steht.

Er hat dabei – wie auch Mariano Rajoy in Madrid – erfahren müssen, dass die Ursachen von Kürzungen und Einschnitten in der öffentlichen Wahrnehmung schnell von ihren Folgen überlagert werden. Die vermeintliche Identität von CiU und Katalonien wurde durch immer heftigere Proteste auf den Straßen zur Makulatur.

Der Druck wuchs mit der Vorgabe der Zentralregierung in Madrid, die Neuverschuldung der Regionen auf 1,5% zu beschränken. Dabei verschafft das weitgehend zentrale System der Steuerverwaltung der Regierung in Madrid die Instrumente, um den Mittelzufluss zu kontrollieren. Schon bald war Katalonien gezwungen, zur Finanzierung der laufenden Ausgaben in diesem Jahr 5 Mrd. Euro aus einem Fond zu beantragen, den die Regierung für „notleidende“ Regionen ver-fügbar gemacht hat. Dies ist die bislang höchste Bedarfsmeldung.

Die finanzielle Lage, verletzter Stolz und politi-sches Kalkül mögen dann jene Mixtur ergeben haben, die Artur Mas und seinen legendären Vorgänger als CiU-Regierungschef, Jordi Pujol, veranlasst haben, die jährlichen Feiern am 11. September zur Erinnerung an den Sieg der Bourbonen über die Habsburger am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges, in dessen Folge Katalonien seine Autonomie verlor, für eine große Demonstration katalanischer Eintracht und Unabhängigkeit zu nutzen. Rund eine Million Menschen versammelten sich in Barcelona, um ihrem Wunsch nach Eigenständigkeit Ausdruck zu verleihen.

Die „Forderung der Demonstranten“ nahm Mas zum Anlass, in einem Gespräch mit Ministerpräsident Rajoy einen „Fiskalpakt“ zu verlangen, eine Haushaltsautonomie, wie sie Navarra und dem Baskenland zugestanden wurde, die ihnen Festsetzung und Einzug der Steuern gewährt. Um seine Forderungen zu unterstreichen, hat Katalonien bereits mit dem schrittweisen Aufbau einer eigenen Steuer- und Finanzverwaltung begonnen.

Mas verlangte ebenfalls Entlastungen beim „Finanzausgleich“, in den Katalonien rund 8% seines BIP zugunsten finanzschwächerer Regionen einzahlt.

Nach dem vorläufigen Scheitern der Gespräche in Madrid – Mas trat nicht mit Rajoy gemeinsam vor die Presse, sondern alleine und im Gebäude der Vertretung Kataloniens in der spanischen Hauptstadt – wurde er bei seiner Rückkehr nach Barcelona von über tausend Anhängern gefeiert. Kurz darauf machten bereits die ersten Gerüchte über vorgezogene Neuwahlen die Runde.

Neuwahlen seien in dieser Situation, so Mas, die notwendige Voraussetzung für ein neues Mandat, das auch ein mögliches Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens umfasse. „Eine neue Etappe verlangt eine neue Legitimation“. Das „Votum der Straße“ müsse sich jetzt in „ein Votum an den Urnen“ umsetzen.

In einer Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung vergangene Woche in Altea hat sich auch Jordi Pujol für den eingeschlagenen Weg der gezielten Eskalation ausgesprochen. Mit Blick auf die Verfassungslage allerdings hinzugefügt, die Unabhängigkeit Kataloniens sei „fast unmöglich“, aber es sei jetzt nötig, „zu kämpfen“, um dringende Reformen zu erreichen und Katalonien finanziell „nicht ersticken zu lassen“. Spanien befinde sich heute deshalb in so großen Problemen, weil es sich in den letzten Jahren „von seiner eigenen Arroganz“ habe leiten lassen.

Es sieht somit nicht danach aus, dass die drei Wahlen dieses Herbstes die politischen Verhältnisse in Spanien leichter machen werden. Sie dürften weder zu einer Unterstützung von Mariano Rajoy und seinem Partido Popular werden, noch zu einem Bekenntnis für die staatliche Einheit Spaniens. „Not schweißt zusammen“ wird eher zum Motto solcher Gruppierungen, die ihre Partikularinteressen durch gemeinsames Vorgehen „gegen Madrid“ durchsetzen wollen.

Auch Artur Mas geht einen riskanten Weg. Für einen Moment mag er vergessen machen, vor welchen enormen Herausforderungen Katalonien noch steht, und dass die Blütenträume einer prosperierenden, unabhängigen katalanischen Nation unter dem Dach der Europäischen Union Voraussetzungen haben, die er selbst nicht schaffen kann. Aber er weckt jetzt Geister, die er nur schwerlich wieder wird kontrollieren können. Je höher sein Wahlerfolg ausfällt, umso größer wird der Druck auf ihn, „zu liefern“. Kann er das nicht und wachen die Katalanen wieder aus den Träumen auf, blicken sie auf eine Wirklichkeit, die schlimmer ist, als zuvor.

Wenn die Krise, die Spanien jetzt zusätzlich zu erschüttern droht, etwas Gutes hat, dann ist es die Chance eines breiten Dialoges unter den Parteien über die staatlichen Strukturen dieses Landes, die Schaffung von Institutionen, die Partizipation, Interessensausgleich und am Ende einen politischen und gesellschaftlichen Konsens ermöglichen, dessen Fehlen eine der Hauptursachen für die gegenwärtigen Probleme ist.

Ob das gelingt, ist höchst ungewiss. Die Parteivorsitzende der UPyD, Rosa Díez, beschrieb diese Zweifel auf der KAS-Konferenz mit dem Satz: „Es ist bezeichnend, dass es der Einladung einer deutschen Stiftung bedarf, um in Spanien eine Diskussion über diese Themen zu führen“.

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