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Spanien spart sich unter den Rettungsschirm
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Am Wochenende musste Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy schon mal unter einen Schirm flüchten. Sein erster Urlaubstag in Galizien fiel buchstäblich ins Wasser. Missmutig stapfte Rajoy unweit seiner Heimatprovinz Pontevedra durch den Wald, während einer seiner Getreuen diensteifrig einen Regenschirm über ihm aufspannte. Das Bild ist symbolträchtig, denn Rajoy muss schon bald entscheiden, ob Spanien einen neuen Antrag für Hilfe aus Brüssel stellen muss. “Ich werde tun, was dem allgemeinen Interesse der Spanier am meisten dient”, orakelte der Premier bei seiner Pressekonferenz am vergangenen Freitag, bevor er sich nach dem Krisenmarathon der letzten Tage in den Urlaub verabschiedete. “Ich habe noch keine Entscheidung getroffen”, fügte der 57-Jährige hinzu.
Bislang hatte die spanische Regierung unermüdlich betont, dass außer der Bankenhilfe keine weiteren Hilfsgelder aus Brüssel notwendig sind, um das Land vor der Insolvenz zu bewahren. Die Idee, dass das ganze Land unter den Rettungsschirm kriechen muss, hatte sie stets empört von sich gewiesen. Die neuen Töne ließen die Öffentlichkeit aufhorchen. “Jetzt beginn der Countdown für Spaniens Rettung” befand “El País” am Sonntag. Die meisten Medien gehen davon aus, dass Spanien im September ein offizielles Hilfsgesuch an Brüssel richten wird. Zu allem Überfluss erfuhren die krisengeplagten Spanier am ersten August-Wochenende, dass sie künftig noch mehr sparen müssen. Auf seiner offiziellen Webseite präsentierte Rajoy einen neuen drastischen Sparplan bis zum Jahr 2014. Vorgesehen sind Einschnitte in Höhe von 102,2 Mrd. Euro. Das sind 37 Mrd. Euro mehr als im letzten Entwurf von Anfang Juli vorgesehen waren.
Ein Großteil der Zusatzeinsparungen soll aus dem öffentlichen Dienst kommen, wo der Einstellungsstopp auf unbefristete Zeit verlängert wird. Nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer werden jetzt auch die Mineralölsteuersätze kräftig nach oben geschraubt. Auch die Regionen und Kommunen müssen weiter Stellen streichen und ihr Serviceangebot für die Bürger einschränken. Am härtesten betroffen ist das Gesundheits- und Erziehungswesen, wo anstelle der ursprünglich anvisierten neun Mrd. Euro mehr als 15 Mrd. Euro eingespart werden sollen. So sollen 4500 Lehrerstellen gestrichen werden, obwohl die Zahl der Schüler im neuen Schuljahr um 100.000 auf 5,6 Millionen ansteigen wird, nicht zuletzt aufgrund der starken Zuwanderung der vergangenen Jahre. Auch die Universitätsgebühren wurden stark angehoben.
Der Sparzwang, der auf den Regionen lastet, nimmt teilweise bizarre Formen an. So will Katalonien künftig eine Art Steuer für Lunchpakete einführen. Immer mehr Eltern verzichten nämlich auf das kostenpflichtige Mittagessen an der Schule und geben ihren Kindern lieber eine selbst gemachte Mahlzeit mit. Doch die Schulleiter rechneten jetzt vor, dass weiterhin Kosten für Mikrowelle, Platzbenutzung und Reinigungspersonal anfällt und wollen bei den Kindern pro Tag drei Euro abkassieren. “Neben dem schweren Schulranzen sollen die Kinder jetzt auch noch ihr Essen schleppen und dafür auch noch zahlen” empörte sich “El País” am Wochenende. “Wir haben bald eine Zwei-Klassen-Gesellschaft an den Schulen, auf der einen Seite die Kinder mit Schulmenü und auf der anderen Seite die Kinder mit Tupperware” warnten katalanische Elternverbände und wollen auf die Barrikaden gehen.
Auch im Gesundheitswesen bröckelt es an allen Ecken und Enden. Seit Anfang Juni müssen die Spanier landesweit eine Rezeptgebühr und höhere Zuzahlungen für die verschriebenen Medikamente zahlen. Die Leistungen des von den Sozialisten eingeführten Pflegegesetzes wurden radikal zusammengestrichen. Die Kommunen können sich zwei Jahre für das Erstellen der Gutachten Zeit lassen, mit denen die Kranken in verschiedene Pflegestufen eingeteilt werden. Für viele Menschen werden die Hilfen dann zu spät kommen.
Die spanische Regierung geht davon aus, dass ihr neues drastisches Sparpaket ausreichen wird, um Brüssel zufriedenzustellen. “Selbst wenn wir Hilfen beantragen, wird es keine weiteren Einschnitte mehr geben, wir schaffen die Defizitvorgaben auch so”, so Wirtschaftsminister Luis de Guindos in einem Interview mit der Tageszeitung “ABC”. Nichts fürchtet die spanische Regierung mehr, als dass Brüssel im Gegenzug für weitere Hilfsgelder dem Land Kürzungen bei den Pensionen auferlegt. Denn damit würden die Konservativen auch noch die letzte Wählergruppe, die spanischen Rentner, die von der harten Sparpolitik bislang noch am wenigsten betroffen waren, verprellen.
In vorauseilendem Gehorsam signalisierte Madrid am Wochenende, dass man Vorruhestandsregelungen und Frühpensionierungen genauer überwachen werde, um zu verhindern, dass die Spanier immer früher in die Rente gehen. In der Tat sind in jüngster Zeit viele von Rajoys Botschaften weniger an die eigene Bevölkerung als an Brüssel gerichtet. Unermüdlich versucht er, die EU-Politiker auf seine Seite zu ziehen. Ebenso wie sein italienischer Amtskollege Mario Monti bemüht er sich derzeit um mehr moralischen Beistand von den EU-Partnern. In einem Schreiben an EU-Ratschef Herman Van Rompuy bat Rajoy einmal mehr um eine schnelle Umsetzung der Beschlüsse des Europarats von Ende Juni. Europa solle endlich Staatsanleihen von den Ländern kaufen, die bei der Haushaltskonsolidierung Ernsthaftigkeit an den Tag legen. Rajoy: “Die neuen Mechanismen sind nicht wie versprochen am 9. Juli in Kraft getreten.”
Der spanische Ministerpräsident empfindet es als Ungerechtigkeit, wenn Deutschland sich zu Negativzinsen finanziert, während sein Land für die Staatsanleihen sieben Prozent Rendite bieten muss. “Wenn wir schon von einem politischen Projekt sprechen, dann sind solche Unterschiede in einer gemeinsamen Währungszone nicht akzeptabel”, so Rajoy. Der Spanier weiß, dass die Zeit drängt. Sein Land ist mit mehr als 900 Mrd. Euro im Ausland verschuldet. Und im Oktober muss das spanische Schatzamt mehr als 30 Mrd. Euro seiner Staatsschulden refinanzieren. Dann schlägt die Stunde der Wahrheit. Entweder sinkt bis dahin die Risikoprämie oder es droht der Rettungsschirm.
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