Sprache und Dichtung sind verletzbar. Die Zivilgesellschaft scheint jedoch in der Ukraine derzeit viel gefährdeter. Die Wiener Autorin und Kulturmanagerin Annemarie Türk betont in ihrer Moderation die Verpflichtung gegenüber dem literarischen Erbe beispielsweise eines Joseph Roth aus Galizien, der Westukraine.

Den drei referierenden ukrainischen Schriftstellern stellen sich viele Herausforderungen. Sie empfinden es wie die in Kiew lebende Oksana Sabuschko als ihre Pflicht, sich bei jeder Gelegenheit zu äußern und auch zu veröffentlichen. Dabei stellt Sabuschko die Schwierigkeiten der Schriftstellerexistenz dar. Es gehe ihr ähnlich wie Juri Dombrowski, der, nachdem er unter Stalin zum vierten Mal verhaftet werden sollte, fragte: “Für wie lange wollt ihr meine Arbeit unterbrechen?” Sie opfert einen Teil ihrer Zeit dem Engagement in einem disfunktionalen Staat, hat dabei die politische Klasse ihres Landes kennengelernt, deren Dummheit festgestellt und, wie sie sagt, ihre politische Jungfräulichkeit verloren.

Auch Jurko Proschako ist desillusioniert. “Wie konnte das geschehen?”, fragt der 1970 geborene Autor und Übersetzer, wie konnte der Verfall der Revolution in Orange so schnell erfolgen, ein vergiftetes Leben entstehen und eine äußerst gefährliche Lage. Er sieht die Sicherheit des Landes und der Menschen existentiell bedroht. Systematisch, ernst und kühl stellt er fest, dass es sich um ein kriminelles System handele, dem es ausschließlich um Machtzuwachs und -erhalt gehe. Kriminell sei hier wörtlich gemeint.

Auch Juri Andruchowytsch betont, mit der Verhaftung und dem Gerichtsurteil gegen Julia Timoschenko sei eine rote Linie überschritten worden. Man habe vorher nicht geglaubt, dass das geschehen könnte. Er beschreibt fünf Stufen der Bedrängung von Schriftstellern. Das geht vom bezahlten Posten von destruktiven Beiträgen im Netz bis hin zu Gewalt. Dies verweise jedoch auch auf die Bedeutung der Schriftsteller, die selbst im Negativen hoch geschätzte Funktion von Sprache und Dichtung. Andruchowytsch zwingt sich zum Optimismus und schlägt eine mutige, entschlossene Agenda vor: unabhängig sein, publizieren, kommunizieren, einen neuen ukrainischen Frühling vorbereiten – und ein, zwei geniale Romane oder Gedichte schreiben. Er hat den Humor nicht verloren. Die Widerständigkeit von Literatur und Schriftstellern ist zu bewundern.

Was tun?, ist eine Frage, die auch der Westen beantworten muss. Die Empfehlungen bezüglich der “unseligen”, weil durch Korruption bis zum mutmaßlichen Staatsbankrott missbrauchten EM sind einfach: Die Politiker sollen zuhause bleiben, möglichst viele Besucher hingehen. Die Oktoberwahlen sollen international kontrolliert werden.

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